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Drei Tage lang saß er still zu Hause. Dann fuhr er nach Westerland und suchte den sozialdemokratischen Parteiführer auf. Der empfing ihn mit aller Achtung, und hörte Eschels Bericht mit Teilnahme an. Ja, er verhehlte keineswegs, daß er Steinhofs Vorgehen selbst als sehr ärgerlich empfand. Als Eschels ihn jedoch bat, sich bei Steinhof und den andern mittleren Beamten für die Arbeiter zu verwenden, zog er sich in sich selbst zurück.

»Ich komme um der Arbeiter willen zu Ihnen, nicht meinetwegen«, betonte Eschels noch einmal, aber Niels Andresen strich mit der flachen Hand über den Tisch, als wollte er Eschels Bitte ein für allemal hinwegfegen.

»Ja, wenn Sie nicht der Pastor wären«, meinte er und zog die Worte lang, wie auch Heinrich Bremer getan hatte. »Wir mischen uns eben grundsätzlich nicht in kirchliche Dinge.«

»Sie wußten doch seit langem schon um meine Vorträge vor den Arbeitern?«

»Gewiß, und ich mußte mehrfach darüber nach Hamburg berichten. Wir – verzeihen Sie! – duldeten Sie als Arbeiterfreund, da unsere Leute manchen Nutzen von Ihnen hatten, und Sie ja auch in keiner Weise einen politischen Einfluß zu gewinnen suchten. Ich persönlich hätte den Leuten wohl gegönnt, daß Sie Ihre Arbeit bis zum Schluß der ganzen Dammbauperiode hätten durchführen können. Sie hätten es auch gekonnt, wenn Steinhof nicht solch ein rabiater Kerl wäre – aber da Sie ihm nun einmal an den Karren gefahren sind, darf auch ich nicht mehr übersehen, daß Sie schließlich doch der Pastor sind, der für die Arbeiter außenvor zu bleiben hat.« –

Danach ging Eschels noch zum Amtsgerichtsrat, dem er persönlich befreundet war. Der riet ihm, allen Anklagen durch eine eigene Beschwerde beim Landeskirchenamt zuvorzukommen, und von der Behörde zu fordern, daß sie ihrerseits gegen Steinhof vorginge. Eschels aber dachte an den Brief von Holm-Peters, der nun sicherlich schon in Kiel angelangt war, und wollte es lieber erst mal mit einer Privatklage versuchen. –

»Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.« Wenn Herr v. Goethe den Werkführer Albert Steinhof gekannt hätte, würde er vermutlich hinzugefügt haben: »Es gibt aber Menschen, die niemals zum Betrachten kommen dürfen, sollen anders sie nicht ganz entgleisen.« Steinhof fand keinen andern Ausweg aus der Verwirrung, die sich seinen des Betrachtens ungewohnten Blicken bot, als daß er sich in »Stadt Hamburg« festsetzte und einen Dauersuff von vierundzwanzig Stunden absolvierte. Danach machte er sich auf den Heimweg, der ihm unerwartete Schwierigkeiten bot. Geriet endlich in die Fördergleise der schon halb abgebauten Materialbahn zwischen der Morsumer Schlucht und dem Lagerplatz. Geriet mit dem Fuß in eine Weiche, stolperte, fiel, und da der Fuß in der Weiche festsaß, trug er von dem an sich geringfügigen Unfall einen komplizierten Knöchelbruch davon. Als kaum eine Stunde später die ersten Arbeiter zur Morgenschicht kamen, wurde er gefunden und »auf Händen vom Platze getragen«.

Da war in Dorf und Arbeiterschaft nicht einer, der diesen Unfall des Werkführers Steinhof nicht als »Gottesgericht« aufgefaßt und gewertet hätte. Da war die beste Gelegenheit für Pastor Eschels, sich für die Welt von Morsum wieder ins beste Licht zu setzen. Er brauchte nur die Klage gegen Steinhof jetzt mit aller Strenge durchzuführen. Er brauchte nur mit ernstem Finger auf ihn zu deuten: da liegt der Sünder!

Eschels tat das Gegenteil. Er ging zum Amtsgericht und zog die Klage zurück. Er handelte ehrlich, seinem eigenen Empfinden entsprechend.

»Er hat das Dümmste getan, was er in diesem Fall tun konnte«, sagte Heinrich Bremer zu Elisabeth Eickemeyer. »Er hat seiner eigenen Natur entsprechend gehandelt – er hätte aber in diesem Fall sein Amt höher halten müssen als seine Person, und um des Amtes willen hätte er Steinhof vernichten müssen.«


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