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12

Die Bekanntschaft Heinrich Bremers mit der Familie Eickemeyer war ein Erbteil, das er von seinem frühverstorbenen Vater übernommen hatte. Seine Freundschaft mit ihnen stammte aus der Kriegszeit, da er als Verwundeter monatelang in dem Lazarett ihrer Heimatstadt gelegen hatte, und, als er zur Nachkur in den Taunus geschickt wurde, die Familie am gleichen Ort ihre Sommererholung suchte. Wenn Heinrich Bremer an die Eickemeyers dachte, standen ihm eigentlich nur Vater und Tochter vor Augen. Die Söhne und die Mutter pflegte er zu vergessen, was herzlich undankbar von ihm war, denn Frau Eickemeyer verdankte er's, daß die Familie in jenem Sommer in den Taunus ging, und die Söhne ergaben den harmlosen Zwischengrund, ohne den er Elisabeth wohl kaum so nah gekommen wäre. Als er wieder ins Feld abrückte, wußte er – obwohl sie eine Aussprache vermieden hatte –, daß er sie liebte, und hoffte von ihr, daß sie ihm zum mindesten nicht abgeneigt sei. Die wundervolle Ruhe ihrer Bewegungen hatte es ihm angetan; die Art, wie ihre Augen sich belebten, wenn er zu ihr trat oder im Laufe des Gesprächs unvermutet das Wort an sie richtete. Er liebte ihren harmonisch durchgebildeten Körper, ihren formenschönen Kopf mit den geraden und starken Brauen unter der hellen Stirn – er liebte vor allem das Spiel ihrer Hände, wenn sie ihm die kleinen weiblichen Hilfeleistungen tat, die sein zerschossener Arm in den ersten Monaten brauchte.

Frau Eickemeyer entließ ihn mit mütterlichen Gefühlen. Als der Krieg beendet war, erwartete sie ihn mit Sicherheit. Er kam nicht. Elisabeth konnte eine gewisse Nachdenklichkeit nicht verbergen, aber sie lebte ihr Leben scheinbar so unbekümmert weiter, daß die Mutter keine Gelegenheit fand, das Gespräch auf Heinrich Bremer zu bringen. Bis endlich Elisabeth einen durchaus annehmbaren Bewerber ausschlug. Da nahm die Mutter das Wort.

»Du wartest auf Heinrich Bremer?«

Elisabeth antwortete nicht, heftete nur ihre dunklen Augen wie fragend auf die Mutter.

»Ich hörte, daß er wieder bei der Bahn fest angestellt sei.«

»Hat er sich verlobt oder verheiratet?«

»Davon weiß ich nichts. Ich meine aber, daß er vielleicht zögerte, zu uns zu kommen, weil er die eigene Zukunft nicht übersehen konnte. Nun er aber seit Jahr und Tag wieder in guter Position ist –«

Elisabeths Blick wurde stumpf und glitt zur Seite.

»Du hast recht, Mutter.«

Frau Eickemeyer stand auf und machte sich an den Fensterblumen zu schaffen, wobei sie der Tochter den Rücken kehrte.

»Er soll den Sylter Dammbau leiten, den dein Vater vor'm Krieg schon vorbereitete. Wenn du vielleicht den Wunsch hast, zum Sommer nach Westerland zu gehen –«

»Ich danke dir, Mutter, aber wenn Heinrich Bremer nicht zu mir kommt, werde ich jetzt mit meinem Beruf ernst machen und öffentlich auftreten.«

Die Mutter wandte sich ihr wieder zu.

»Öffentlich auftreten?« wiederholte sie verständnislos, »ja, Elisabeth, wie denn? Als was denn?«

»Als was? Als Tänzerin natürlich –« Elisabeth lächelte flüchtig, da sie der Mutter ratloses Erstaunen bemerkte. »Weshalb denn sonst hätte ich all diese Jahre hindurch so angestrengt gearbeitet, wenn nicht, um einen Beruf zu haben, der mich befriedigen kann, falls Heinrich Bremer nicht aus dem Kriege heimkehren sollte? Nun ist er freilich heimgekehrt – doch nicht für mich –« Sie überließ der Mutter, mit sich selbst fertig zu werden und stieg in den Garten hinunter. Der stand jetzt auf der Grenze zwischen der ersten und zweiten Frühlingsblüte. Die Veilchen dufteten noch, aber die roten Tulpen auf dem langen Beet taten sich in der Mittagssonne schon gar zu weit auf und etliche ließen ihre Blütenblätter schon fallen. Und in der Südecke an Haus und Veranda öffnete der weiße Flieder seine ersten Dolden. Elisabeth achtete nicht sonderlich auf all dies, das sie sonst viel beschäftigte. Sie ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die paar altmodischen Brezelwege rund und rund und dachte an Heinrich Bremer. Weshalb war er nicht gekommen, als der Krieg sein böses Ende fand? Weshalb kam er heute nicht, nun seine Zukunft gesichert erschien? Sie fand tausend Gründe, doch den wahren nicht, und alle andern wollten ihr nicht recht einleuchten.

Sie blieb vor dem Fliederstrauch stehen und bog eine der Blütendolden zu sich herab. Sie atmete den noch zarten Duft, aber sie sah dennoch nicht die Blüten – sie sah Heinrich Bremer vor sich. Was war's denn, das ihn ihr so anziehend machte? Er war doch in keiner Hinsicht etwas Besonderes – nicht groß nicht klein, nicht hübsch nicht häßlich. Sie mußte ein wenig lachen, wenn ihr auch blanke Tränen dicht unter den Lidern saßen. Ach nein, Heinrich Bremer war wirklich nichts Besonderes, aber sie liebte es, wenn sein schmaler Mund sich im Lachen löste und die Narbe an seiner linken Schläfe zuckte. War er Korpsstudent gewesen oder stammte diese zuckende Narbe aus seinem ersten Kriegsjahr?

»Weshalb ließ ich es damals nicht zur Aussprache kommen?« dachte sie weiter; der Fliederzweig schnellte in die Höhe, und sie nahm ihre Wanderung durch die schmalen Brezelwege wieder auf. Aber sie wußte wohl, weshalb sie es getan: sie hatte eine Abneigung gegen diese Kriegstrauungen gehabt und ahnte, daß sie diese dann nicht hätte vermeiden können. Ihre Mutter würde sie gewünscht haben – Heinrich Bremer selbst – Elisabeth errötete, indem sie an seinen Abschied dachte. Sie hatte sein Begehren empfunden und hatte sich dennoch nicht entschließen können, ihm mehr als herzliche Kameradschaft zu bieten. Ihr heimlicher Stolz war stärker gewesen als ihre Zuneigung –

»– und also habe ich mir mein Leben verpfuscht«, sagte Elisabeth Eickemeyer zu sich selbst, und ihre Augen sahen müde auf die Frühlingspracht ringsum. »Bis ich nun einen andern finde, der mir Heinrich Bremer ersetzen kann, will ich tanzen gehen. Ich kann es wagen, jetzt öffentlich aufzutreten. Ich kann mehr als die meisten andern. Nur fürchte ich, wird es Vater noch härter ankommen als Mutter –«

Sie dachte aber nicht, daß ihre Eltern sich überhaupt weigern würden, sie auftreten zu sehen. Sie hatte sich richtig eingeschätzt: sie konnte mehr als die meisten andern. Sie trat hier und da in großen Städten auf, und ihr Name gewann bald einen guten Klang. Sie gewann ein ganz bestimmtes Publikum für sich, ihre Kunst war mehr Können als Hingabe. Sie erfreute – sie entzückte –, aber sie lockte und reizte nicht. Und doch hatte sie Erfolge, die ihrem Stolz genügten.

Aber ihr Herz tat ihr weh, als sie bald nach ihrem ersten Auftreten hören mußte, daß ihr Bruder Martin die Universität verlassen hatte, um – einfacher Arbeiter zu werden.

»Da er nun mündig wurde, nahm er sich das gleiche Recht zur Selbständigkeit wie Du«, schrieb die Mutter bitter.


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