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69

Und der Sturm kam! Keine Möglichkeit, sich dadurch noch über ihn hinwegzutäuschen, daß man ihm einen andern Namen gab. Er kam mit Schnee-, mit Regen-, mit Hagelböen. Vor wenigen Minuten noch hatte Elisabeth vom Fenster aus in eine Schneelandschaft geblickt – nun wusch der Regen die Scheiben – und gleich darauf fuhr sie erschrocken zurück, so trommelte schwerer Hagel dagegen. Das Haus schütterte und bebte. In den Mauerfugen rieselte der trockene Mörtel. Türen knallten. Die Fenster der Westzimmer klirrten unaufhörlich in ihren Rahmen. Das Vieh brüllte im Stall. Der alte Birnbaum draußen ächzte und stöhnte, obgleich er an der Ostseite noch Windschutz hatte. Auf dem Hausboden polterte und rumorte es, als hausten dort böse Geister. An den Stubendecken zeigten sich nasse Flecke, es regnete durchs alte Dach. Immer wieder lief eine Mimi oder Mitzi mit Scheuerlappen durchs Haus.

Elisabeth saß in der großen Wohnstube östlich des Hausflurs, der unaufhörliche Lärm in den Westzimmern war ihr unerträglich. Sie hätte lieber in der Küche mit herumgewirtschaftet, aber die Mimi brauchte ein Sonntagskleid, brauchte es aus irgendeinem unerfindlichen Grunde noch gerade für diesen Sonntag, und die Näherin hatte sie im Stich gelassen. So saß Elisabeth hier nun allein mit der Näharbeit und horchte angstvoll auf den Lärm draußen, der nicht nachlassen wollte. »Sonderbar, wie anstrengend dies ist«, dachte sie.

Gegen Mittag kam Gondelina und nahm ihr der Mimi Sonntagskleid aus den Händen.

»Mir scheint, es wird ruhiger draußen«, sagte Elisabeth.

Doch Gondelina schüttelte still den Kopf.

»Der Wind dreht von Südwest auf West, so steht er hier nicht mehr aufs Südfenster.«

Und als wollte der Himmel ihre Aussage bestätigen, schlug hinten in der Ecke am Stallflügel die Scheunentür krachend auf, ein Donnern und Brausen füllte das Haus bis ins vorderste Zimmer, mit erneuter Gewalt stürzte draußen der Regen herab –

»Ich möchte wohl zum Damm hinunter!«

»Sie würden dem Baumeister davontanzen, geradenwegs ins Watt hinein, und ich glaube kaum, daß er Ihren Besuch heute gern sähe.«

»Ich glaub's auch nicht«, antwortete Elisabeth bedrückt, »aber vors Haus gehe ich doch. Sehen Sie, die Sonne scheint schon wieder!«

Im kleinen Vorgarten fanden sie an der südlichen Hausmauer Windschutz.

»Hören Sie die Brandung von Westerland?« fragte Gondelina. »Die See beißt auf Stein. Als mein Vater Kind war, kannte man diesen Ton noch nicht auf der Insel, da gab's noch keine steinerne Strandmauer. Hoffentlich halten die Dünen unterm Krankenhaus. Sie haben am Sonntag dort schon Verluste gehabt, die großen Strandtreppen sind weggerissen –«

»Wird der Damm halten?«

»Baumeister Bremer hält.«

»Sie haben gutes Zutrauen zu ihm.«

»Sie etwa nicht?« Gondelina lachte. Dann sah sie Elisabeths weißes Gesicht. »Kommen Sie ins Haus, Sie sind sturmkrank.« –

Mitten in der Nacht wachte Elisabeth auf von einer toten Stille, aber sie fühlte sich nicht freier. Ihr Kopf schmerzte, ihr Herz klopfte angstvoll, und ihr Blut brannte bis in die Fingerspitzen hinein, als wollte es die Adern sprengen. Am Morgen sah sie, daß der Birnbaum unter ihrem Fenster die letzten Blätter verloren hatte und nun die kahlen Zweige unbeweglich in die graue Luft reckte.

Gegen Mittag kam Heinrich Bremer in hochgeknöpfter Lederjacke, das Sturmband der Mütze unterm Kinn –

Elisabeth nahm seine Hand.

»Weshalb läufst du mit der Sturmkappe? Es ist stilles Wetter.«

»Ist es das?« fragte er zerstreut und schnallte den Riemen auf. »Wir bekommen aber noch mehr, sind wohl jetzt im Zentrum – ich muß Sie bitten, Herr Pastor, Ihre Morsumer zu beruhigen. Das Wasser kam hoch gestern, steht auch heute noch. Steht in Wester- und Osterende, in Schallbarg, ja auch noch Nuhörn –«

»Steht auch überall in Archsum, bis an den Bahndamm, und am Keitumer Anwachs desgleichen«, fügte Eschels hinzu. »Vom obersten Bodenfenster aus kann ich's mit dem Glase erkennen. So hohen Wasserstand hatten wir August 23 nicht. Was macht der Damm?«

»Der steht. Doch nicht darum handelt es sich jetzt, sondern daß ein Gerede geht: der Damm staut das Wasser. Der Damm ist schuld, daß wir's überall in den Häusern und auf den Äckern haben. Es wird mir aber von Husum bestätigt, daß im ganzen Stromgebiet der Elbe-, Weser- und Emsmündungen der gestrige Wasserstand der höchste war seit zehn Jahren, höher auch als im August 23. Bis zur Ems hin wirkt aber mein Damm nicht, auch nicht zur Elbe. Mich ärgert dies Geklatsch, ich bitte Sie, dem entgegenzutreten.«

Elisabeth hatte von allem nur eins gehört.

»Der Damm steht?«

Bremer sah sie erstaunt an.

»Weshalb sollte er nicht?«

»Du zweifeltest –«

»Nur vor dem Sturm – jetzt –« er lachte: »Dies ist doch ehrlicher Kampf! Etwas anderes als dies ewige Geriesel und Gerinnsel, Getrudel und Gesprudel. Etwas anderes als nur dies gleichmäßige ruhige Kommen und Drängen der Flut, Gehen und Saugen der Ebbe. Lächerlich fühlt man sich, wenn man dessen nicht Herr werden kann. Gestern aber –«

Gondelina trat ins Zimmer, und auch sie fragte als erstes:

»Was macht der Damm?«

»Viel Arbeit noch, da ist kein Zweifel«, antwortete Heinrich Bremer aufrichtig. »Der Sodenbelag ist mir zum großen Teil davongeschwommen, und wo die Pflasterung noch nicht hoch genug lag, ist die ganze obere Kuppe arg zerwühlt, die Gleise streckenweise unterhöhlt. Ich glaube, wir müssen die Pflasterung an der ganzen Südseite des Dammes noch höher ziehen. Doch das sind nur Äußerlichkeiten – innerlich ist der Damm jetzt fest und gesund. Stark genug, auch einer Flut wie August 23 ohne wesentlichen Schaden standzuhalten. Auch bei Hochwasser konnte man gestern noch trockenen Fußes nach Klanxbüll spazieren – und wird es morgen auch können, da mag kommen was will.« –

Und als anderntags der Sturm von neuem ausbrach und die Wasser der Nordsee, der Mordsee, gegen den Damm vortrieb, saß Heinrich Bremer ruhig in seinem Büro, rechnete mit Zeit, rechnete mit Geld, und sobald der Telephondraht wieder geflickt war, den der Sturm zerriß, ließ er sich mit Baurat Pflüger in Husum verbinden und trug ihm seine Berechnungen vor:

»Schaffen Sie mir noch ein paar Kolonnen geübter Steinsetzer und ebensoviel Sodenleger, dann können von mir aus die großen Bäderzüge doch pünktlich zum nächsten Westerländer Saisonbeginn fahren.«


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