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Es war aber Peter Boy Eschels mehr darum zu tun, daß der Damm als Ganzes gute Aufnahme in Morsum fände, denn die einzelnen Arbeiter. So ging er einige Wochen später auch zu dem Lehrer Abrumeit, obgleich nun alle Arbeiter schon längst im Dorf oder in der Wohnschute untergebracht waren. Der Lehrer stammte aus dem hintersten Ostpreußen, war erst durch den Krieg nach Sylt gekommen, hatte aber durch seine ernste und würdige Art, die den Morsumern wohl zusagte, bald Einfluß gewonnen.
»Sie haben die Jugend in der Hand«, sagte Eschels, »Sie müssen mir helfen, den Dammbau im Dorf volkstümlicher zu machen. Die Jugend ist dem Neuen am ehesten zugänglich.«
Der Abrumeit wollte nicht.
»Ich bin selbst nicht für das Neue, Herr Pastor, dafür steht uns Ostpreußen die Treue zu hoch.«
»Treue ist ein schönes« – Ding! hatte Eschels sagen wollen, aber er stutzte unwillkürlich davor und änderte es: – »Wort, und doch nicht mehr als das, wenn nicht eine ehrliche Mannestat dahintersteht. Die neue Zeit kommt, ob wir sie haben wollen oder nicht – ist sie doch nichts anderes als der Wille der meisten, und der einzelne, der sich ihr entgegenzustemmen sucht, wird zerrieben. Wir müssen uns rüsten, der neuen Zeit zu begegnen, und deshalb« – unwillkürlich streckte Eschels dem andern die offene Hand hin: – »noch einmal die Bitte, unsere Jugend dem Neuen zugänglicher zu machen. Die Jugend ist die Zukunft!«
Doch der Lehrer nahm die Hand nicht.
»Treue ist nicht nur ein schönes Wort, Herr Pastor, sondern ist in sich schon eine Mannestat, denn es ist wahrlich leichter, sich von jedem Neuen einfach nur treiben zu lassen, als mit aller Kraft am Alten festzuhalten.«
Enttäuscht ließ Eschels die Hand sinken.
»Wer spricht denn davon, daß man sich einfach nur hemmungslos treiben lassen sollte? Ich doch nicht! Wer sich nicht selbst in der Hand hält, ist ein Schädling, ganz gleich, in welchem Lager er steht!« Und da der Lehrer hierauf nicht antwortete, sondern sich nur schweigend, aber deutlich spürbar innerlich zur Wehr setzte, fuhr Eschels mit leichtem Seufzer fort: »Was aber wollen Sie dann tun?«
»Nun ich einmal hier bin – so will ich das Friesentum hochhalten!«
Eschels lachte ärgerlich.
»Sie wissen ja gar nicht, was Sie da reden, Abrumeit! Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Nach den neuesten Forschungen ist es nicht einmal mehr sicher, ob wir Sylter wirklich von den Friesen stammen oder etwa von den Ambronen oder Teutonen oder Chauken oder Sigulonen oder Angeln oder Sachsen oder Angelsachsen –« in seinem Ärger hätte er noch gern ein paar Namen mehr dazu erfunden, aber der Lehrer unterbrach ihn schon, gekränkt und aufgebracht:
»So sagen wir einfach: das Alte, das Althergebrachte. Aber die Sylter selbst können sich bei dem Wort ›Friesentum‹ immer noch am meisten denken. – Im übrigen aber muß ich Sie doch daran erinnern, daß seit der Revolution der Pastor in der Schule nicht mehr das große Wort zu führen hat!«
»Seit der Revolution –? Ich denke, Sie sind nicht für Neuerungen!« gab Eschels spöttisch zurück. Doch dann wurde er ernst. »Ich hatte nicht die Absicht, in Ihren Schulunterricht einzugreifen. Ich dachte vielmehr an den Einfluß, den Sie auch außerhalb der Schule auf die erwachsene Jugend des Dorfes ausüben können und ja auch ausüben – weshalb gründen Sie jetzt einen neuen Gesangverein? Ich meine, wir hätten an einem genug.«
»Das geht Sie gar nichts an, Eschels«, entgegnete der Lehrer patzig, aber er rutschte doch auf seinem Sitz unbehaglich hin und her und wurde zornrot. »Und noch einmal: Sie haben mir gar nichts dreinzureden!« –
»Dem habe ich's aber gut gegeben«, erzählte der Lehrer hinterher dem Gastwirt vom »Haus Hamburg«, wo der verwitwete Mann sein Mittagessen einzunehmen pflegte, »als er mich nur ›Abrumeit‹ anredete, sagte ich einfach ›Eschels‹ zu ihm. Na, da ging er denn auch.«
Dies aber hatte Peter Bleik Bun nicht einmal gemerkt. Er war nur traurig und bekümmert und verstand des Lehrers Haltung nicht. Gondelina mußte ihn aufklären.
»Du hast ihm auf sein Lieblingshühnerauge getreten, alter Vater, das verzeiht er dir so bald nicht. Sieh: heiraten will er Metta Holm-Peters, aber gern hat er Erkel Simonsen aus Klein-Morsum, wo die vielen Kinder sind und Erkel sicher kaum das Bett mitbekommt, wenn sie heiratet. Um der Metta willen muß er das Friesentum hochhalten, denn dafür ist Holm-Peters. Und für Erkel hat er den neuen Gesangverein gegründet, denn seit du die Arbeiter in den alten aufnahmst, darf sie darin nicht mehr mitsingen.«
»Seit Erkel die schwere Grippe gehabt hat, sollte sie nicht mehr singen.«
Darin hatte Eschels schon recht. Auch der Arzt sagte das. Aber es änderte an der Lage nichts, und nun er anderntags wie gewöhnlich das Gemeindeblatt in die Schule schickte mit dem Vermerk, die Kinder möchten es austragen, bekam er den ganzen Packen ins Haus zurück und der Lehrer schrieb dazu, das hätten die Kinder nicht mehr nötig.
Das band denn doch das Fuder zusammen. Als Eschels in der folgenden Woche einer Sitzung der Kirchenvertreter beiwohnte, brachte er auch seine Zwistigkeiten mit dem Lehrer zur Sprache. In bezug auf das Gemeindeblatt gab ihm sogar Holm-Peters recht: das sei ein alter Brauch, daß die Kinder für ihre Eltern oder auch Nachbarn das Blatt aus der Schule mit heimbrächten; das sollte auch so bleiben. Aber von dem neuen Gesangverein wollte niemand etwas wissen.
»Was geht uns das an. Da laß Pastor und Lehrer sich nur miteinander einigen.«
»Er will sich aber nicht mit mir einigen!« rief Eschels aus. »Als ich ihn gestern ansprach – er hatte Pause und stand am Zaun –, drehte er mir den Rücken zu, ging ins Haus, ohne mir zu antworten, und ließ mich stehen – vor allen Kindern!« Unwillkürlich sah er dabei zu Jens Simonsen hinüber, ob der wohl etwas davon wüßte.
»Das muß der Herr Lehrer selbst wissen, ob er dazu das Recht hat«, entgegnete Simonsen steif. »Wir wollen, daß Pastor und Lehrer sich vertragen, damit Ruhe ist im Dorf. Wie sie das machen, geht uns nichts an.«
Und diese Rede fand allgemeinen Beifall.