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59

Pastor Eschels bat Meinert Claasen, eine Vollsitzung der Kirchenvertreter einzuberufen. Hier legte er den Zwiespalt zwischen Schulstunden und Konfirmandenunterricht öffentlich klar.

»Lehrer Abrumeit ist der Form nach durchaus in seinem Recht«, fügte er hinzu. »In Wirklichkeit ist aber die Frage, was die Kinder bei schlechtem Wetter leisten können, wenn sie die weiten Wege zweimal am Tage machen. Wie soll es nun mit den Konfirmandenstunden werden?«

Kirchenvorsteher und Kirchenvertreter sahen sich gegenseitig an.

»Ja, das muß der Pastor doch selbst wissen. Da muß er sich mit dem Lehrer einigen. Da haben wir doch noch nie Schwierigkeiten mit gehabt.«

»Ihr hattet noch nie Schwierigkeiten, weil Lehrer Abrumeit sich bisher nach der alten Regel einrichtete. Die Gesetze sind aber tatsächlich inzwischen geändert, und der Lehrer ist nicht mehr verpflichtet, sich nach dem Konfirmandenunterricht zu schicken. Auch darf ich ihm die Kinder nicht etwa aus seinen Schulstunden wegnehmen.«

»Das mag wohl sein – wenn Lehrer Abrumeit das sagt.«

»Es ist so. Und was soll nun geschehen?«

»Das muß doch der Pastor wissen.«

»Aber ich bitte euch«, rief Eschels ungeduldig. »Es handelt sich um eure Kinder! Im Sommer ist mein Unterricht so gut wie nichts nütze. Gestern sollten die Kinder im Heu helfen. Heute im Korn. Morgen müssen sie die Schafe nach Keitum bringen, damit sie dort gegen Räude gewaschen werden –«

»Jee, Pastor, da können wir doch nichts dafür, daß dies so schlimm wurde im Sommer.«

»Nein, aber ich komme mit meinem Unterricht nicht voran. Ich kann froh sein, wenn ich die Hälfte der Kinder beisammen habe. Das ist doch kein Arbeiten. Ihr wollt, daß die Kinder etwas lernen sollen. Aber ihr wollt ihnen nicht die Zeit dafür geben. Nun haben wir im Winter viel nachzuholen. Und ich frage euch: wie soll es nun eingerichtet werden?«

Wieder sahen die Männer sich gegenseitig an.

»Das haben wir noch nie gehabt«, sagt Meinert Claasen ärgerlich. »Wir wollen das auch nicht. Pastor und Lehrer müssen sich vertragen. Es taugt uns nicht, wenn die Kinder nach Hause kommen und sagen: Pastor will so, und Lehrer will so. Da muß doch Einigkeit sein.«

»Da bin ich ganz deiner Ansicht«, entgegnete Eschels mit Beherrschung. »Ich bitte euch aber, anzuerkennen, daß ich nach den neuen Gesetzen gar keine Handhabe mehr mein eigen nenne, dadurch ich den Lehrer zu irgend etwas zwingen kann. Ich kann ihn nur auffordern, sich mit mir zu einigen. Das tut Lehrer Abrumeit aber nicht. Im Gegenteil nimmt er mir nach Möglichkeit jede Wirkung aus der Hand. Er hat den neuen Gesangverein gegründet, wodurch der alte überflüssig wurde. Er hat beantragt, daß die kleine Bücherei der Gemeinde, die meine Tochter gegründet und eingerichtet hatte, vom Pfarrhaus in die Schule überführt würde. Er hat einen Leseabend zusammengebracht, ohne sich vorher mit mir darüber zu verständigen –«

»Er ist tüchtig«, sagte Holm-Peters stolz. »Er wird es noch so weit bringen wie der Keitumer, der nun eine Belobigung vom Herrn Minister selbst erhalten hat.«

»Gewiß. Aber mit alledem nimmt er mir den Wind aus den Segeln. Und doch bin ich ihm in all diesen Dingen jederzeit entgegengekommen: ich habe es nicht zu einer öffentlichen Abstimmung kommen lassen, sondern sogleich nachgegeben. Ich habe den Leseabend sogar von der Kanzel abgekündigt, wozu ich keineswegs verpflichtet bin. Sie müssen mir also zugeben, daß es an meinem guten Willen nicht mangelt –«

Hier blickten alle Männer stumm und steil vor sich hin. Nur Jens Simonsen wechselte einen kurzen Blick mit Holm-Peters, schnell und scharf wie einen Schwerthieb, aber Holm-Peters blieb unbewegt.

»Wir können das alles dem Lehrer doch nicht verbieten. Wir können es dem Pastor auch nicht verdenken«, sagte Meinert Claasen unbehaglich. »Aber wir wollen das nicht. Wir wollen keine Unruhe im Dorf. Wir wollen wieder Ruhe haben wie früher.«

»Claasen«, sagte Eschels und sah ihm gerade in die Augen. »Die alten Zeiten kann niemand von uns wiederbringen. Durchgekämpft muß es einmal werden. Die Gemeinde selbst muß das Verhältnis zwischen Lehrer und Pastor neu regeln. Das gibt Kampf. Gewiß. Der eine wird diesen, der andere jenen bevorzugen. Aber auch der Kampf der Geister kann fruchtbar sein, wenn er mit Ernst geführt wird –«

»Wir wollen keinen Kampf.«

»Er ist aber unvermeidlich! Seht euch doch um! Ist es in Keitum und Westerland denn irgend anders? Das kirchliche Leben muß in neue Kanäle geleitet werden. Ihr könnt euch davon nicht ausschließen –«

»Pastor«, sagte Jens Simonsen und hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. »Denke nicht, daß ich dir Böses will, weil ich mich nun hier einmische. Du bist sehr gut zu meiner Erkel gewesen und hast sie am Grabe gelobt rein über Menschenmaß. Aber du willst zuviel. Du willst immer das Neue. Du bist uns zu lebendig, Pastor« – hier nickten mehrere Morsumer beistimmend, was den Redner veranlaßte, das Wort noch zu verstärken: »Du bist ein Lebemensch. Wir aber wollen das nicht. Du meinst es gut auch mit den Arbeitern und gibst deine Zeit und dein Geld und deine Gesundheit dafür dran, denn es ist wohl nicht leicht, nach Feierabend und bei schlechtem und dunklem Wetter noch über die Spundwand zu laufen nach der Wohnschute hin. Aber das ist uns doch alles zuviel! Die Arbeiter danken es dir nicht, daß du dich so um sie kümmerst. Was sind denn das für Leute? Nicht einer von ihnen hat einen eigenen Hof oder wenigstens ein Erbteil an einem Stück Land. Das sind doch gar keine rechten Christen! Ja, dann ist mal einer verunglückt, und ein anderer will heiraten, und dann hältst du ihnen noch Vorträge im Lesesaal – das ist doch alles die Zeit, die doch eigentlich uns gehört und unsern Kindern –«

»Und mit den Herren vom Bau trinken Sie«, fügte Holm-Peters giftig hinzu, »ja, Simonsen hat schon recht: Sie sind ein Lebemensch!«

»Ich trinke mit ihnen!« rief Eschels aus. »Hält denn im Ernst mich wirklich einer von euch für trunkfällig?«

»Nein, das tut niemand«, antwortete Meinert Claasen schnell, »seit du Guttempler geworden bist, kann von Trunksucht überhaupt nicht mehr gesprochen werden. Uns ist auch wohl recht, daß nun zwei von den Schachtmeistern auch den Guttemplern beigetreten sind, gerade die ärgsten, und sonst noch allerhand junge Leute, denen das gut ist, und nur durch dich. Aber nun kommen die wieder abends zu dir ins Pfarrhaus, und es geht überaus lustig bei euch zu. Das bereitet doch Ärgernis, Pastor! Das wollen wir nicht.«

»Ihr wollt gar vieles nicht, Claasen«, sagte Eschels still und ließ seinen Blick rundum gehen und fügte in einer leisen Bitterkeit das alte Sylter Wort hinzu: »Zehn gegen einen ist weder Kunst noch Ehre, das solltet ihr auch bedenken –«

Es schwiegen aber alle, die hier versammelt waren, denn mochten sie auch rückschrittlich oder fortschrittlich gesonnen sein – gegen die Fremden standen sie noch alle wie eine feste Mauer und wünschten, daß ihr Pastor gleich ihnen täte. So legte Eschels denn seine Empfindungen zu den Akten und fragte kurz:

»Was also soll in Sachen des Konfirmandenunterrichts denn nun geschehen?«

Ja, das wußte niemand zu sagen.

»Schreiben Sie doch an den Propst«, schlug Holm-Peters vor, »daß unsere Kinder bei schlechtem Wetter nicht zweimal die weiten Wege machen können.«

»Und was soll das nützen?«

»Dann kann er bestimmen, daß ein paar Schulstunden ausfallen müssen.«

»Das kann der Propst allein nicht bestimmen, da muß er die obere Schulbehörde in Bewegung setzen, und das wird dem Lehrer auch nicht recht sein.«

»Wenn ihm das aber befohlen wird, kann er doch nichts mehr dagegen tun.«

Pastor Eschels schloß seine Mappe mit scharfem Knacken.

»Abrumeit ist kein Sylter.« Und da sie ihn alle fragend anschauten, was er damit wohl meinen könnte, fand er nötig, sein Wort näher zu erläutern. »Seit euch 1890 durch das neue deutsche Bürgerliche Gesetzbuch die Selbstverwaltung aus den Fingern gezogen wurde, habt ihr damit zugleich auch alle Selbstverantwortung euch nehmen lassen –«

Holm-Peters bekam einen roten Kopf.

»Seid Untertan der Obrigkeit! Das habe ich bei Pastor Dahme noch gelernt. Schlimm genug, daß du deine Ohren nicht besser aufgetan hast und willst nun unser Pastor sein!«

»Abrumeit aber ist kein Sylter«, fuhr Eschels fort, als hätte niemand inzwischen gesprochen, denn er wollte nicht gehört haben, daß Holm-Peters ihn duzte wie vor sechzig Jahren. »Abrumeit wird mir zur Last legen, was die Obrigkeit von ihm fordern wird, und das Verhältnis zwischen ihm und mir wird dadurch nicht besser werden. Könnt ihr das wirklich wünschen?«

»Das muß sich helfen«, antwortete Meinert Claasen.


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