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Es dauerte denn auch nicht mehr lange, bis Lene Volquart Claasen ihrem Bruder eine Predigt hielt über das gleiche Thema: »Jeder hat meist Sauerkohl genug im Hause – du brauchst ihn uns nicht mehr zu bringen.« Und Pastor Eschels empfand, daß sie, wenn auch nicht geradezu im Auftrage, so doch als Vertreterin der Morsumesen zu ihm sprach.

»Deine Rede beim Fest droben auf der Heide – deine Rede ›mit Gott!‹ die hat uns schon gar nicht gefallen, Peter«, sagte sie mit jener strengen Mißbilligung, die ihr als älterer Schwester wohl anstand, »und im Gesangverein hat der Lehrer neulich angedeutet: besser wäre wohl gewesen, du hättest die Kantine des Keitumers überhaupt verboten, statt nun selbst mit den Arbeitern darin zu sitzen und mit ihnen zu trinken!«

»Wie konnte ich sie verbieten, Lene? Das steht doch nicht in meiner Macht. Übrigens war es Holm-Peters selbst, der ihm das Land dafür verkaufte.«

»Konnte er doch nicht wissen, was der Mann damit wollte, und der bot ihm ein rundes Stück Geld.«

»Wußte ich's doch auch nicht!«

»Du hättest es aber wissen müssen«, meinte sie vorwurfsvoll, »dafür eben bist du doch unser Pastor! Der neue Kantinenwirt ist ein schlechter Mensch. Er braucht viel Brot und Fleisch hier aus dem Dorf, aber er bezahlt es nicht. Er hat den ganzen Gesangverein zum Grog eingeladen, aber den Rum dafür ist er schuldig geblieben. Da ist mir nicht lieb, daß du bei ihm sitzt zwischen den Arbeitern.«

»Du weißt, daß ich es nicht tue, um mit ihnen zu trinken.« Peter Eschels war all dieses Geredes so müde, aber er hielt für besser, das Gespräch nicht vor der Zeit abzubrechen; er fühlte, daß noch etwas kommen sollte, und es war ihm ernstlich darum zu tun, mit dem Feinde Fühlung zu behalten.

Und es kam noch etwas, das aber bekümmerte Frau Lene Claasen so sehr, daß sie nicht streng oder heftig dabei wurde, sondern nur leise davon sprach, mit stillen Tränen in den Augen.

»Ja, Peter, und am letzten Sonntag sagtest du in der Kirche: ›Wie der Kranke zum Arzt geht.‹ Hattest du denn nicht gesehen, daß auch Erkel Simonsen unter der Kanzel saß? Und weißt du nicht, daß Dr. Meusel nun ganz die Hand von ihr geschlagen hat?«

»Nichts weiß ich davon!« rief Eschels erschrocken aus. »Wie kann sie dann aber noch zur Kirche kommen, wenn es so schlecht um sie steht?«

Frau Lene trocknete ihre Tränen und nahm den Strickstrumpf wieder vor: »... vier, fünf, siehst du, nun habe ich mich verzählt. Das kommt nur davon, daß du gar nicht mehr weißt, was bei uns vorgeht. Nein, Peter, es ist nicht so mit ihr, daß es nun bald zum Sterben gehen könnte. Aber Dr. Meusel hat gesagt, wenn sie nicht täte, was er verordnete, dann gäbe er die Behandlung auf.«

»Das kann ich ihm nicht verdenken. Ich traf sie Mittwoch wieder, als sie gerade vom Gesangverein kam, lachend, schwatzend, mit offener Kehle bei dem Seenebel aus Nordost.«

»Wenn sie das nicht darf – das hat noch nie jemand geschadet. Aber nun sie keinen Arzt mehr hat, darfst du doch so etwas nicht mehr in der Kirche sagen.«

»Sie kann ja nach Westerland gehen.«

»Meinst du, daß einer der Westerländer Ärzte etwas anderes verordnen würde? Sie soll nicht singen, nicht tanzen. Sie soll nach Sonnenuntergang nicht mehr über die Wattweiden gehen. Sie soll sich warm und ruhig halten –«

»Und weshalb tut sie es nicht? Weil sie immer noch hofft, Lehrer Abrumeit würde sie heiraten. Der aber ist sicherlich schon mit Metta Holm-Peters versprochen, da gehe ich jede Wette ein!«

»Es heißt so«, antwortete Frau Lene, und wieder feuchteten sich ihre Augen, »und ich glaube es auch. Es ist noch nicht acht Tage her, da waren die Schwiegereltern von Rasmus und Geik bei uns zum Geburtstag, und Erkel kam auch, nur eben so zum Gratulieren. Und als sie wieder gegangen war, sagte der alte Brodersen: ›Wie kann das nur angehen, daß sie jetzt im Winter ohne Strümpfe in den Schuhen läuft?‹ Du weißt, er kann nicht gut mehr sehen. Aber sie trug auch ganz dünne rosa Strümpfe, die aussahen wie die nackte Haut. Wie kann ein Mädchen aus guter Familie das tun, daß sie keine selbstgestrickten Strümpfe mehr trägt!«

Trotz aller ehrlichen Betrübnis mußte Eschels doch etwas lachen – »ach Lene« –

Es war gut für ihn, daß sie sein Lachen nicht verstand.

»Ja, sieh Peter, da hättest du mit ihr reden sollen. Was wir selbst wissen, ob wir das Alte wollen oder das Neue, darum brauchst du dich nicht zu quälen. Aber was wir nicht machen können, dafür solltest du da sein. Seit Erkel bei dir im Hause war, hört sie doch auf alles, was du ihr sagst, und es wäre so gut für sie gewesen, wenn sie Abrumeit hätte bekommen können. Die Stelle könnte sie leicht noch versorgen, sie brauchten nicht einmal Vieh zu halten. Man sagt, daß er wohl tausend Taler Gehalt bekäme. Aber du weißt ja nicht einmal mehr, was im Dorf vorgeht. Was gehen dich die fremden Arbeiter an und die Herren, die alle Woche ein paarmal bei euch abendbroten? Du bist doch unser Pastor!« – –

Drüben an der schleswig-holsteinischen Westküste geht ein Gespenst um, »Deichgeschichten« genannt. Wenn im Herbst der Regen über See kommt und das schwere Kleiland in einen zähen Sumpf verwandelt, der die einzelnen Höfe hinterm Deich oft wochen- und monatelang von der Außenwelt abschneidet, dann werden an jedem Herdfeuer die alten Geschichten des vorigen oder auch vorvorigen Winters wieder aufgewärmt, und da sie inzwischen vielleicht schon etwas abgestanden und muffig von Geschmack geworden sind, tut die Hausfrau gern selbst ein Körnchen frischen Salzes oder ein pikantes Gewürz daran. Auf den Inseln der Westsee aber gehen ähnliche Gespenster um. Je einsamer ein Dorf liegt, desto seltener kommen neue Geschichten dahin; desto häufiger ist's nötig, daß die Hausfrau ihnen mit eigenem Gewürz wieder frischen Geschmack verleiht. In Morsum gab es eine Art der Geselligkeit, die nicht unpassend »Aufsitzen« genannt wurde, denn eigentlich gab es dabei keine andere Unterhaltung, als rund um die Stube zu schwatzen, dabei rechts an der Wand entlang die Männer, links an der Wand entlang die Frauen ihre Plätze hatten. In der Mitte aber, da, wo sich beide Geschlechter unterm Fenster vereinen, saßen die Pastorsleute – in diesem Fall also Peter Boy Eschels und Gondelina. Kaffee wurde gereicht und unzählige Sorten selbstgebackener Kuchen, dazu der neueste Dorfklatsch. Wo aber die Pastorsleute einmal nicht anwesend waren, da gab es sicherlich keinen willkommeneren Gesprächsstoff als diese beiden Persönlichkeiten. Viel war wohl selten von ihnen zu sagen. Viel war ja auch eigentlich von Peter Bleik Bun und seiner Tochter nicht zu berichten. Desto öfter also mußten die alten, die schon reichlich abgestandenen Gerüchte wieder aufgewärmt werden, mußte die Hausfrau ein wenig Salz oder pikantes Gewürz daran tun, um sie wieder aufzufrischen –

Ach, Peter Bleik Bun hatte sich zu früh gefreut, als die Dorfhexe nach Amerika abschwamm. Auch Cäcilie Hansen hatte sonst Zungen und Gedanken angenehm beschäftigt. Nun trat er noch ihr Erbe an.


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