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Die Beerdigung der jungen Erkel Simonsen traf auf den ersten ausgesprochen herbstlichen Tag des Jahres. Der Sommer war so vorübergerauscht in all der Arbeitshetze, die schließlich doch das ganze Dorf mitgezogen hatte, denn überall in den Familien saßen nun die fremden Arbeiter, und neben Landwirtschaft und Ernte hatten die Frauen auch noch für ihre Mieter zu sorgen gehabt; waren gutmütig genug, ihnen auch noch ihre Anzüge zurechtzuflicken, wenn sie zerrissen von der Arbeit heimkamen. So hatte niemand viel von der Lieblichkeit des diesjährigen Sommers gemerkt, und nun erst, da er dahingegangen und der kalte Regen auf die Trauergemeinde niederschlug, während der Nordwest um die Kirche fuhr, spürte man ihn im Entbehren.
»So wird es uns allen auch mit Erkel gehen«, sagte Pastor Eschels am offenen Grabe: »Niemand achtete viel auf sie, solange sie noch unter uns lebte. Sie machte selbst so gar kein Wesens aus dem, was sie allein nur anging. Immer war sie freundlich und achtsam, wo es sich um andere handelte. Wer zu ihr sprach, durfte der lieblichsten Teilnahme stets gewärtig sein. Mir ist leid – ach, mir ist bitter leid, daß ich einen letzten Besuch bei ihr in Vergeßlichkeit versäumte! Nicht, daß ich glaube, ihr noch etwas hätte nützen oder geben zu können – umgekehrt: dies junge Ding hat mich alten Mann oft viel lehren können, an Geduld, an Sanftmut, an Liebe – an Nachsicht auch mit ihren kleinen Geschwistern, die mir oft störend schienen in der Krankenstube. Vielleicht hätte sie mir noch ein gutes Wort mitgeben können auf meinen weiteren Lebensweg« – und da er Lehrer Abrumeit unter den Schulkindern stehen sah, die hernach singen sollten, und das dunkle Gesicht des Mannes bemerkte, mußte er denken: »– vielleicht hätte sie mir auch für dich noch ein gutes Wort gesagt – mir scheint, auch du hättest es brauchen können!« Und während er sonst sorgfältig vermied, seiner Gemeinde allzu plastisch irdische Bilder von einem »Jenseit des Grabes« zu zeichnen, ließ er sich heute hinreißen, Erkels lichte Gestalt jedermann vor Augen zu stellen, als lebte sie noch unter ihnen.
Aber der kalte Regen schlug hernieder und der Nordwest fuhr jaulend wie ein herrenloser Hund um die kleine Kirche, die der Trauergemeinde nicht viel Windschutz bot, und Erkels jüngere Geschwister mochten vielleicht alle nicht so sehr sicher mit der Gesundheit sein –
Danach, als alles vorüber, ging Eschels ins Schulhaus und klopfte bei dem Lehrer an. Der stand noch am Fenster und sah den Simonsens nach, wie sie, seitlich gegen den Wind ankämpfend, weiter südlich schon den unteren Weg gewannen. Halb widerwillig wandte er sich dem Eintretenden zu, und da er Eschels erkannte, verfinsterte sich sein Gesicht, das soeben nur voll Trauer gewesen, und sein Blick wurde hart.
»Sie haben«, sagte Pastor Eschels ohne Umschweife, »mir gestern noch Ihren Stundenplan für das Winterhalbjahr ins Haus geschickt. Darin sind die Stunden der Oberklasse so gelegt, daß ich nirgend den Konfirmandenunterricht anfügen kann. Ließe sich das nicht noch ändern?«
Er holte das Blatt aus seiner kleinen Mappe und legte es vor dem Lehrer auf den Tisch. Der schob es gleichgültig beiseite.
»Die Schule hat mit dem Konfirmandenunterricht nichts mehr zu tun.«
»Dem Buchstaben nach nicht, das ist auch mir bekannt. Wir müssen aber doch unsere besonderen dörflichen Verhältnisse hier in Betracht ziehen. Sie wissen so gut wie ich, daß unsere Kinder hier bei schlechtem Wetter die weiten Wege unmöglich zweimal am Tage machen können.«
»Das geht mich nichts an.«
Eschels seufzte mutlos.
»Abrumeit«, sagte er eindringlich, »so wie das Verhältnis zwischen uns sich jetzt entwickelt, wird es schließlich für uns unhaltbar und für die Gemeinde unerträglich. Sagen Sie mir, wo ich gegen Sie fehlte – sagen Sie mir, was ich an meinem Teil an unserm Verhältnis ändern könnte –«
»Nichts«, unterbrach ihn der Lehrer kalt abweisend. »Sie vertreten den Dammbau, Sie vertreten die neue Zeit. Ich –« er schwieg einen Augenblick, dann vollendete er den Satz mit Anstrengung: »Ich wählte das Alte.«
Da wußte Peter Boy Eschels, daß Abrumeit sich selbst auch als Erkels Mörder empfand; wußte aber auch, daß der andere von dem bösen Wort gehört hatte – »für wen sie sich diese Krankheit geholt hat, der mag nun sehen, wie er mit seinem Gewissen fertig wird«; wußte endlich auch dies, daß nach Abrumeits Willen einer von ihnen in der Gemeinde allein führen müßte, nicht beide vereint. Er nahm den Kampf auf, nun nicht allein mehr für den Damm, sondern auch gegen Abrumeit, gegen Holm-Peters und die andern Morsumesen – aber er gab sich über den Ausgang keiner Selbsttäuschung hin, kannte er sich selbst doch zu gut und wußte, daß er niemals »klug wie die Schlangen« seinen Weg gehen würde. »Soll man hier denn jedes Wort auf die Goldwaage legen?« hatte er neulich erst unmutig seinem Neffen gegenüber geäußert, und Rasmus Claasen hatte kalt erwidert:
»Ich tu's, Pastor-Ohm. Ich habe keinen so starken Rücken, daß ich mir ein böses Maul leisten könnte. Du weißt, daß ich mit meiner Frau Vater nicht zum besten stehe. Da muß ich mir selbst oft den Mund verbieten. Es tut nicht gut, alten Hunden das Bellen lehren.«
Aber Peter Boy Eschels hatte durch die Gewöhnung seines Lehramtes solche Zurückhaltung verlernt.