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Am Dienstagabend ging Eschels nach alter Gewohnheit zum Lesesaal der Arbeiter, um dort einen kirchengeschichtlichen Vortrag zu halten. Er hatte sich sorgfältig vorbereitet, denn ihm lag daran, den Arbeitern auf diese Art überhaupt kirchliche Gedanken näherzubringen. Auch glaubte er, daß trotz des unglücklichen Zwiespalts mit Steinhof sein Verhältnis zu den Arbeitern dasselbe bleiben könnte. »Nicht einmal Steinhofs eigene Kolonne gehorchte ihm, als er sie auf mich hetzen wollte, nun werde ich mir doppelt Mühe geben, ihnen Gutes zu bringen.« Doch die Männer empfingen ihn ohne Gruß, und als er nach seiner Art zunächst eine harmlose Unterhaltung beginnen wollte, sagte ihr Wortführer entschieden:
»Herr Pastor, das geht nun nicht mehr. Der Werkführer Steinhof hat uns verboten, noch weiter mit Ihnen zu verkehren, und die andern Werkführer und Schachtmeister haben sich ihm angeschlossen. Wer dagegen handelt, wird entlassen, fristlos entlassen ohne Schein für die Erwerbslosenfürsorge –«
»Dazu haben die Unterbeamten doch gar nicht das Recht!« rief Eschels aus, aber der Arbeiterführer wiegte bedenklich den Kopf.
»Da sind wir uns doch nicht so sicher, Herr Pastor, und jetzt im Winter darf keiner von uns riskieren, daß er seine Arbeit aufgibt. Tja, da müssen wir schon an uns selbst denken.«
Solcherart vor die Tür gesetzt, ging Eschels gleich weiter zu Heinrich Bremer und fand ihn allein noch in seinem Büro.
»Soeben hat Scholz mir gesagt, daß Steinhof nun gegen Sie hetzt – hätte ich's früher gewußt, ich würde Sie gewarnt haben!«
»Hat Steinhof ein Recht, mich in der Art vom Bau zu weisen?«
»Ganz entschieden nicht, da das Landeskirchenamt Sie nun einmal zum ›Dammbaupastor‹ bestellt hat.«
»Können Sie mir hierin helfen?«
Heinrich Bremer streifte das Aschenköpfchen von seiner Zigarre und betrachtete nachdenklich die glühende Fläche.
»Können –« sagte er gedehnt. »Man kann manches, was man zu tun doch nicht für gut befindet. Im Augenblick kann ich freilich auch nichts tun, denn da Steinhof der Anstifter ist, müßten Sie sich zuerst mit der Firma Hurtig darüber verständigen. Von all den Herren aber ist vorläufig nur erst der Bauführer Kniebel vom Weihnachtsurlaub zurück, und der hält durch dick und dünn mit Steinhof zusammen. Mich selbst aber gegen diese beiden einzusetzen – nein, das lehne ich grundsätzlich ab. Ich wünsche auch nicht, daß die Firma Hurtig sich in meine Personalkonflikte mischt.«
Eschels stützte den Kopf in die Hand. Er fühlte sich müde und alt.
»Hören Sie, Bremer, da klingt eine falsche Note mit, oder wenigstens ein nur halb klarer Ton. Sie sprechen nicht alles aus, was Sie meinen –«
»Ich täte es gern, wenn ich sicher wäre, Sie nicht zu kränken«, antwortete Heinrich Bremer schnell. »Was ich nun noch zu sagen hätte, gilt aber der Sache an sich, und darin sind Sie empfindlicher, als wo es sich nur um Ihre eigene Person handelt. Ehrlich gestanden: solch ein Verhältnis zwischen einem leibhaftigen Pastor und tausend Arbeitern ist nirgend sonst mehr möglich. Ich wunderte mich tagtäglich, daß es so lange ging. Und daß es ging, lag nur an Ihrer vollkommenen Unbefangenheit, die Ihnen gestattete, die Arbeiter auch einfach nur als Menschen zu werten und nicht als politische Faktoren. Und nicht als Untergebene in den Händen von Steinhof und Genossen. Ein einziger kleiner Fehlgriff Ihrerseits konnte Ihre ganze Arbeit hier gefährden. Nun ist es so weit. Und wenn Sie mich fragen, muß ich Ihnen raten: lassen Sie sich an dem genügen, was Sie den Leuten bisher geben konnten, und versuchen Sie nicht, den Kampf für ein Weiteres aufzunehmen. Es dauert ja ohnehin nur noch wenige Zeit –«
Peter Boy Eschels sah sich ratlos in dem nüchternen Raume um, aber der spiegelte gar zu deutlich die Eigenart seines Bewohners ab, um dem Beschauer viel Trost spenden zu können. Freilich war der Fußboden dick mit Lehm und Klei bedeckt, aber – »das tritt sich fest«, hatte Heinrich Bremer einst Gondelina Eschels geantwortet, als sie ihm einen Besen schenken wollte. In dem offen stehenden Aktenschrank herrschte die peinlichste Ordnung; die Bücher, an denen Bremer noch abends spät arbeitete, waren Seite auf Seite mit gleichmäßig klaren Zahlen und unmißverständlichen mathematischen Formeln gefüllt – nein, hier war kein Raum für einfach menschliche Gefühle.
»Und doch fühle ich mich verpflichtet, den Kampf gegen Steinhof auch noch aufzunehmen«, sagte Eschels nach kurzem Schweigen. »Nicht um meinetwegen, sondern um der Arbeiter willen, mit denen ich jetzt durch die kirchengeschichtlichen Vorträge so schön vorankam. An wen müßte ich mich wohl wenden, wenn ich sie nicht ›einfach als Menschen‹, sondern eben auch als Masse werte, die unter der Botmäßigkeit von Steinhof und Genossen steht?«
»An den Parteiführer, der in Westerland wohnt, Niels Andresen, ein kluger und umgänglicher Mann. Sie vergeben sich nichts, wenn Sie zu ihm gehen, Herr Pastor, aber er wird Ihnen nichts anderes sagen können als ich.« – –
Und danach, als Eschels in dunkler Nacht heimgehen wollte, wurde er in Klein-Morsum noch von seinem Neffen Rasmus Claasen gestellt:
»Gut, daß ich dich treffe«, sagte er hastig unterm Atem, »ich wagte nicht, zu dir zu kommen und will dich doch warnen. Geik hat durch seine Schwiegermutter erfahren, daß Holm-Peters und sein Anhang wieder an einem Schriftstück für den Bischof arbeiten. Kannst du ihnen nicht zuvorkommen, indem du selbst nach Kiel fährst? Oder, besser noch, dich nun um eine andere Pfarrstelle bewirbst?«
Aber Peter Boy Eschels war zu müde, diesen guten Rat recht zu würdigen.