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Pastor Eschels aber stammte aus altem Bauern- und Seefahrergeschlecht in Morsum auf Sylt. Hier war er geboren als einer aus großer Geschwisterschar, die aber unter der Verwandtschaft aufgeteilt wurde, als sein Vater auf See blieb und die Mutter aus Gram darüber hintersinnig wurde und nach Schleswig gebracht werden mußte. Peter kam damals zu seinem Oheim Bleik Bunje, einem eigentümlichen Nachfolger Jesu Christi, der religiös dem pietistisch eingestellten Sylter Listland, Amrum und dem dänischen Teil von Föhr näher stand als den nüchternen deutschen Syltern. Es war in Bleik Bunjes jungen Jahren eine durch die Herrnhuter hierher getragene persönliche Nachfolge Christi in Morsum aufgekommen – wahrhaft aufgenommen aber nur von wenigen Männern, die von ihren Dorfgenossen dafür den Übernamen »die Feinen« erhalten hatten. Alle andern waren allmählich ausgestorben, und Bleik Bunje war allein übriggeblieben.

Heute noch konnte Peter Boy Eschels sich »Christus über die Felder wandelnd« nicht anders vorstellen als in der langen und hageren, im Alter nur wenig gebeugten Gestalt Bleik Bunjes. Pastor Dahme, der Peter und seine Altersgenossen konfirmierte, hielt ihnen Bleik mit Vorliebe als Muster eines echt christlichen, liebe- und friedevollen Lebenswandels vor, bis er endlich von Bleiks eigenem Neffen Peter die ungeduldige Antwort erhielt: »Jee, Herr Pastor, Bleik-Ohm ist wohl gut, aber leben kann man nicht wie er!« Der alte Mann hatte sein Land gepaßt oder auch nicht gepaßt, je nachdem, ob er gerade irgendein erbauliches Buch zu Ende gelesen hatte, oder noch mitten darin steckte. Dann war er über die Weiden und Felder gewandelt, hatte mit tiefem Blick dem Spiel der Lämmer zugeschaut und sich an dem Stand der Ähren gefreut, mochten sie – nach Sylter Art! – auch noch so kümmerlich sich entwickelt haben.

»Wer nicht an jeder Gabe Gottes mit Dank sich erfreuen kann, ist ihrer nicht wert!« pflegte er oft zu sagen. Wie es aber möglich war, daß er bei dieser Lebensweise seinen Neffen studieren ließ und ihm später noch ein nettes kleines Vermögen vermachte, das blieb Peter Boy Eschels so lange ein Rätsel, bis er im Jahre 1920 die deutsch-dänische Abstimmung hier erlebte. Da waren nicht wenige unter seinen Landsleuten, die »aus Liebe zur Heimat« Dänemark ihre Stimmen gaben, denn unter »Heimat« verstand der Morsumer allemal nur das Fleckchen Erde, auf dem er gerade saß, und dieser Heimat zu dienen, erschien im Jahre 1920 Dänemark manchem geeigneter als Deutschland. So mochte auch Bleik Bunje zur Zeit der Losreißung Schleswig-Holsteins von Dänemark »aus Liebe zur Heimat« gut dänische Geschäfte gemacht haben, sie aber – wiederum »aus Liebe zur Heimat«! – dem Dänen und späterhin dem Preußen verheimlicht haben. Jedenfalls erbte Peter Eschels mehr, als er je zu hoffen gewagt hatte – und er hätte selbst kein Morsumer sein müssen, hätte er davon groß Geschrei gemacht.

Als ihm diese Erbschaft zufiel, saß Peter Eschels seit einigen Jahren schon in einer behaglichen kleinen Pfarre Ostholsteins und – langweilte sich. Kaum hatte er das Geld wirklich in Händen, legte er auch schon sein Amt nieder und ging auf jene süddeutsche Universität zurück, die ihm seine schönsten Studentenjahre geschenkt hatte. Nun baute er seinen Doktor hier und errang sich endlich mit Zähigkeit und Geduld einen Lehrstuhl an besagter Universität. Er war ein trefflicher Dialektiker, und die Art, wie er seine weitreichenden Studien bewältigte und zu verwenden verstand, zeugte von seltener Schärfe und Klarheit seines Denkapparates. Aber Peter Bleik Bun, der Morsumer Bauernjunge, drang in jene Kreise, in die Heinrich Bremer hineingeboren war, doch nie ganz ein. Vor allen Dingen – lag ihm zu wenig daran; er gab sich keine Mühe darum; er sah auch keine Veranlassung, sich selbst etwa, zu ändern – er blieb, der er seit je gewesen, und wer sich damit nicht abzufinden verstand, den ließ er laufen. Heute noch – so geläufig ihm die deutsche Sprache auch geworden war – dachte er zumeist in seiner heimatlichen Sylter Mundart, und ihm geschah oft, daß er, daraus übersetzend, das Deutsche etwas mißhandelte – »was man nicht weiß, soll man besser schweigen« – Dem Charakter eines jeden, aus echtem insularem Stamm hervorgegangenen Sylters ist eine gewisse Schwere eigen, die nur durch ein Versetzen in eine andere Landschaft, ein anderes Klima, in andere Lebensverhältnisse aufgelockert werden kann. Ein glücklicher Instinkt hatte die Bewohner der ehemals dänischen Westseeinseln früh auf die See hinausgetrieben; ohne dies würde sich die Rasse wohl kaum so lange gut gehalten haben. Der Charakter des Morsumer Bauernjungen Peter Boy Eschels wurde durch seine Übersiedlung nach Süddeutschland in dem Maße aufgelockert, daß er dort die hübsche Tochter seiner Wirtin heiratete aus keinem andern Grunde, als weil er das Kind, das sie zur Welt brachte, für sein eigenes hielt. Hatte schon Weimar sich aus ähnlichen Gründen gegen den großen Goethe abgeschlossen, so war Peter Boy Eschels Stellung in der Gesellschaft der kleinen Universitätsstadt dadurch vollends »unmöglich« geworden. Zu seinem Heil aber ging ihm seine Frau im zweiten Jahr ihrer Ehe mit einem Bäckergesellen durch. Er leitete sofort seine Scheidung ein, und nachdem diese ausgesprochen, hielten die Professorenfrauen, die zufällig heiratsfähige Töchter besaßen, den Umgang mit ihm nicht mehr für ganz so »unmöglich« –

Doch Peter Boy Eschels ließ sich nicht zum zweitenmal einfangen. Er nahm eine ordentliche Wirtschafterin ins Haus; er hatte ein Heim, er hatte sein Kind – und die kleine Gondelina rechtfertigte seinen väterlichen Instinkt aufs glücklichste, indem sie heranwachsend nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrer entschwundenen Mutter entwickelte, sondern eine echte Morsumerin wurde: kräftig, langknochig, von blonder Farblosigkeit, aber scharfgeprägten intelligenten Zügen, mit wasserhellen kühlblickenden Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, mit schmalen geraden Lippen. Eine echte Morsumerin auch von Charakter: rasch zum Denken, aber langsam zum Reden, voller Tüchtigkeit und Herrschsucht, Rechtschaffenheit und Selbstgerechtigkeit, Sparsamkeit bis an die Grenze des Geizes, Härte gegen sich selbst, aber nicht minder auch gegen andere. Doch ihrem Vater war sie recht, so wie sie da war.


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