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Nicht immer waren die Herren vom »Neubauamt Dammbau Sylt« und die der Firma Hurtig so einig wie im Falle Sigulla kontra Wronski. Wenn sie des Abends in der »Hohen Heide« zusammentrafen, dann kam es oftmals zu mehr oder minder ernst gemeinten Sticheleien. War irgendeine Schlägerei gewesen – immer hatten die Arbeiter der andern Firma daran schuld. War im Betrieb irgendeine Schlamperei entdeckt – sicherlich lag der Fehler nicht bei der eigenen Firma! Pastor Eschels besorgte oft, daß diese Sticheleien dem guten Einvernehmen der Herren endlich schaden und damit den Fortschritt des Dammbaus womöglich gefährden könnten. Und er als gebürtiger Sylter wußte wohl, daß in der schnellsten Ausführung des Dammbaus auch die größte Gewähr für sichere Fertigstellung lag. So ging er denn auch häufig hinauf, um das Öl der Sanftmut auf die erregten Wogen der Meinungen und Gegenmeinungen zu träufeln – wobei er denn freilich auch manchmal erleben mußte, daß die Herren plötzlich einen unvermuteten Frontwechsel machten und allesamt vereint über die Sylter herfielen.
Einige Tage nach dem Abschied der Kantinenweiblichkeit traf er also wieder mit den Herren in der »Hohen Heide« zusammen, erzählte ihnen die Äußerung seines Neffen und klagte darüber, daß die Arbeiter sich den Bauern gegenüber genau so ablehnend verhielten:
»Sie halten den Bauern einfach für dumm, weil er anders denkt als sie selbst.«
Es war auch einer der Söhne Hurtig selbst mit am Tisch, ein stattlicher Herr, der aus dem Kriege sich einen Schaden an seiner Lunge mitgebracht hatte und nun hier auf Sylt die Arbeit seiner Firma sozusagen beaufsichtigte, um dabei das »gleichmäßig ozeanische Klima« zu genießen. Aber Baumeister Kurz trug in Wahrheit die Last der Geschäfte und Dr. Hurtig langweilte sich häufig; wenn er sich aber langweilte, bekam er philosophische Anwandlungen.
»Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden, Herr Pastor, aber was Gott geschieden hat, soll der Mensch auch nicht zusammenfügen wollen. Gott schied den Arbeiter vom Bauern, als Deutschland nicht mehr Land genug hatte, alle Bauern zu ernähren. Über einer Haustür in Wenningstedt las ich als Willkommgruß das schöne Wort: ›Let mi töfreer!‹ Könnte je ein Arbeiter zu seinen Genossen sagen: Laßt mich zufrieden?«
»Es müßte einer vom andern lernen«, entgegnete Eschels bestimmt, »mit ›let mi töfreer‹ kommt auch der Bauer heute nicht mehr durch die Welt.«
»Ist doch noch nie jemand in der Welt hängengeblieben«, spöttelte Dr. Meusel, der Arbeiterarzt; er war in Klanxbüll angestellt, mußte aber jede Woche einmal auch die Sylter Baracken und Wohnschuten inspizieren. »Das Schlimmste ist, daß Ihre Sylter auch nicht mal echte Bauern sind, wie die Niedersachsen etwa. Es ist zuviel Seemannsblut in die Rasse eingesprengt. Was steht und liegt hier noch alles in den Stuben herum an Mitbringseln von der andern Seite unserer runden Erde! Allerlei Gehörn von ausländischem Wild, bunte Kästchen, Geflochtenes und Geschnitztes, Kokosnüsse, die nicht in Hamburg gekauft sind. Glauben Sie mir, ich habe Blick dafür, bin ich doch selbst zwei Jahre als Schiffsarzt gefahren –«
»Wohl, wohl, und ein Seemann zu Pferde ist ein Greuel vor Gott, hilft man ihm auf der einen Seite hinauf, fällt er von der andern wieder herunter«, stimmte Eschels zu, aber er tat es ungern, denn er mochte den Landfremden gegenüber auch nicht einmal so viel gern zugeben, aber Bremer setzte nun erst recht noch einen Trumpf darauf:
»Da haben Sie recht, Doktor, etwas mehr tummeln könnten sich die Sylter Bauern schon, sonst wird ihnen hernach das Festland bös auf die Hacken treten. Meinert Lorenzen macht mir nun doch die Bohrprobe hier im Gelände. Wieviel Lehm gibt es da – ja, weshalb kümmern sich die Sylter nicht um Gemüsebau? Der hat für die Sommersaison doch ganz andern Wert als die Handvoll Getreide, die sie ausgerechnet auf den Sandäckern bauen. Man merkt heute noch, daß die Frauen hier die Wirtschaft besorgen und die Männer sich andern Verdienst suchen. Kaum einer, der eine landwirtschaftliche Winterschule besucht hat. Nicht wenige, die von dem Boden, darauf sie ackern, gar keine Ahnung haben. Die ganzen Wattwiesen müßten einmal umgepflügt werden –«
»Man sachte mit jungen Pferden, Bremer, von gepflügtem Land reißt die Flut mehr ab als von alter Grasdecke«, meinte Dr. Meusel, und da Eschels eine neue Flasche bestellte, brach er auf; er war nie über ein gewisses Maß hinaus zum Bleiben zu bewegen. Baumeister Kurz aber rückte näher an Bremer heran.
»Was ist's mit den Bohrproben? Fanden Sie wirklich nur Lehm?«
Nein, Meinert Lorenzen fand auch anderes noch, aber Bremer fühlte sich nicht verpflichtet, davon Mitteilung zu machen, ehe er das Gebiet ganz übersehen konnte. So gab er eine ausweichende Antwort und schloß sich Dr. Meusel an, und Peter Boy Eschels blieb etwas mißvergnügt bei den Herren der Firma Hurtig Söhne sitzen.