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28

Als die Rentenmark und die Papierbillion einen Tag wie den andern, eine Woche wie die andere den gleichen Wert behielt, daß 4,2 Rentenmark oder 4,2 Papierbillionen einen Dollar kaufen konnten, kam eines Tages Cäcilie Hansen zu Pastor Eschels. Er ahnte, weshalb sie kam, und sie tat ihm leid. Sie war grau im Gesicht, sorgenzerfressen.

»Herr Pastor«, sagte sie, denn sie gehörte zu den wenigen im Dorf, die weder blutsverwandt noch verschwägert mit ihm waren und also auch nicht auf du und du mit ihm standen, was ihrem Verkehr eine gewisse Distanz gab, die den übrigen Dorfbewohnern leider Gottes fehlte. »Herr Pastor, was ist dieser Schein jetzt wert?«, und sie hielt ihm ihren Fünfzigdollarschein so dicht vor die Augen, daß er ihn unmöglich hätte erkennen können, wenn er nicht auch ohnedies gewußt hätte, weshalb sie kam.

»Jee, Frau Hansen, zweihundertundzehn Billionen.«

Sie wurde zornig.

»Das weiß ich als längst. Aber wenn die nicht mehr steigen, was nützen sie mir dann?«

»Kaufen Sie sich zweihundertundzehn Rentenmark dafür und danken Sie Ihrem Mann, daß er so viel Geld geschenkt hat.«

Ihr graues Gesicht rötete sich, wurde kupferfarben.

»Sie freuen sich noch daran, daß ich so reingefallen bin!« schrie sie wütend, riß die Ofentür auf und wollte den Schein ins Feuer stecken. Aber Peter Boy Eschels war schneller, als sie gedacht hatte, entwand ihr den Schein und schloß ihn in seinen Geldschrank, ehe sie wußte, wie ihr geschah. Er war ärgerlich. Eine leise Schadenfreude an ihrem Pech hätte er jetzt nicht leugnen können. Die Hansens störten oft den Gemeindefrieden. Neuerdings hatte der Sohn sich eine junge Frau Hansen vom Festland heimgebracht. Die trug aber nur zufällig den gleichen Namen wie er, war eine Kriegerwitwe aus Kiel, und als Pastor Eschels dem jungen Hansen deshalb Vorhaltungen gemacht, hatte der patzig erwidert: »Wohl sind wir verheiratet, aber nur unter uns. Ihr Mann war zu guter Letzt noch zum Offizier gemacht. Da bekommt sie eine schöne Rente. Sollen wir die aufgeben, nur um aufs Standesamt zu gehen? An der Kirche liegt uns sowieso nicht ein Groschenwert.«

»Geben Sie mir meinen Schein zurück!« schrie Cäcilie Hansen.

»Was wollen Sie damit?«

»Ins Feuer stecken!«

»Dazu gebe ich ihn Ihnen nicht. Wenn Sie ihn nicht mehr haben wollen, geben Sie das ordnungsmäßig zu Protokoll, und ich werde das Geld unter unsere Armen verteilen.«

»Ich werde Ihnen meinen Sohn herschicken!« und Cäcilie fuhr wütend zur Tür hinaus. –

Nicht für jedermann also brachte die feste Währung, die Deutschland sich nun geschaffen hatte, angenehme Folgen. Als Heinrich Bremer nach Husum kam, war das erste, daß er sich krank melden mußte. Er ging in ein kleines Erholungsheim der holsteinischen Schweiz und schlief dort vierzehn Tage lang fast ununterbrochen. Dann war sein Kopf wieder frei, und er fühlte sich fähig, seine Lage zu überdenken. Die feste Währung war wunderschön, wenn man von dem wertbeständigen Gelde überhaupt etwas bekam. Das Reich aber kam mit seinem Kredit nicht aus, und da die Reichsbank die Notenpresse stillgelegt hatte, blieb der Regierung nichts anderes mehr übrig, als ihre Ausgaben einzuschränken.

Es wurden die Unterstützungen der Schulen, wissenschaftlichen Institute, Bibliotheken, Museen und sonstigen Bildungsanstalten eingestellt oder doch aufs äußerste beschränkt;

es wurden alle Bauten der Reichsverwaltung stillgelegt;

es wurden alle Beamten über 65 Jahre hinaus pensioniert, von den übrigen 25 Prozent abgebaut;

es wurden alle Angestellten entlassen und alle entbehrlichen Arbeiter entlassen;

es wurden die Unterstützungen der Erwerbslosen weitestgehend eingeschränkt –

Post und Bahn anheimgestellt, sich selbst zu helfen.

Und die Bahn half sich selbst, indem sie zunächst, der Reichsregierung folgend:

alle Bauten stillegte;

alle Beamten über 65 Jahre pensionierte und von den übrigen 25 Prozent abzubauen sich vorbehielt;

alle Angestellten entließ und was von Arbeitern irgend entbehrlich war –

»Sind Sie eigentlich Beamter?« fragte der Baurat Pflüger, und Heinrich Bremer mußte antworten:

»Nur für den Sylter Dammbau eingestellt.« –

Es wurden von der Reichsbahn sogleich die große Mehrheit aller Angestellten und 10 Prozent der Beamten abgebaut, danach sollten weiter 5 Prozent je zum 1. Februar, zum 1. März und 1. April entlassen werden. Heinrich Bremer saß in dem kleinen »Neubauamt Dammbau Sylt« und erwartete täglich seine Entlassung; sie kam nicht. So vertiefte er sich immer mehr in die Pläne, die jetzt hier ausgearbeitet wurden, Pläne, in denen er alle Erfahrungen des letzten Jahres praktisch verwerten konnte. Und je mehr er sich darein vertiefte, desto schwerer wurde ihm der Gedanke, daß der Damm vielleicht niemals zur Ausführung kommen würde – so schwer, daß er diesen Gedanken immer weiter von sich schob und endlich im neuen Jahr ganz zu vergessen sich bemühte.

Er arbeitete hier mit dem Techniker Scholz, mit dem Buchführer vom Wasserbauamt und dem Baumeister Bahrenfeld zusammen, mit dem er sich, wenn ihnen das Glück hold sein würde, dereinst in die Ausführung teilen konnte. Sie bauten hier in Gedanken, Zeichnungen und Plänen den Damm, nicht wie er für das arme Deutsche Reich billig genug sein möchte, sondern wie er allein nur fest und sicher stehen würde: bauten eine Spundwand nach Süden vor der ganzen Länge des Dammes, die sie mit Steinen einschütteten, mit bestem Granitschotter! Legten hinter diese Spundwand erst das von Buschdämmen durchzogene Spülfeld – nach Norden zu würden die Lahnungen schon halten, wenn nur die starke Südströmung ihnen abgedämmt würde. Spülten aber auch mit andern Methoden als im vorigen Sommer: gar zu oft waren Bremer die Spüler und alle Geräte von hohen Fluten verschoben; gar zu schwierig war es gewesen, die Liegestellen im Osterley immer wieder auszubaggern, um sie tief genug zu halten. Heinrich Bremer forderte einen Bagger an, der weiter draußen liegen konnte und in den ein Spüler gleich eingebaut wurde, legte schwimmende Rohre bis zum Spülfelde hin, die mit der Arbeit zugleich weiterwanderten – sie bauten den Damm, wie er nicht besser gebaut werden konnte – auf dem Papier, in ihren Gehirnen, bauten in leidenschaftlichem Eifer einen Bahndamm für die Ewigkeit.

Doch als Baurat Pflüger das Werk besah und mit dem Buchführer die Kosten durchrechnete – denn nun wieder feste Preise galten, konnte man jede Einzelheit genau veranschlagen –, da zeigte sich, daß dieser neue Plan den ersten um eine volle Hälfte noch verteuerte und –

»– das kann sich Deutschland jetzt nicht leisten. Das bringt die Reichsbahn nun und nimmer auf!«


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