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Der Winter war nicht nur milde, sondern brachte auch weder starken Wind noch hohe Fluten. Da alles Denken, Sinnen und Träumen Heinrich Bremer nichts weiter einbrachte als die Erkenntnis, daß er Elisabeth Eickemeyer durch eigene Schuld aus den Augen verloren hatte, ließ er den Fall endlich auf sich beruhen und warf sich von neuem mit ungeteiltem Eifer auf seine Arbeit.

Der letzte Sommer war nicht schlecht gewesen, und was gebaut war, hielt nun stand. Aber es war alles so langsam gegangen, so qualvoll langsam! Von drüben her hatte Bahrenfeld trotz äußerster Anspannung volle drei Monate an 440 Meter Spundwand verbaut – wann sollten sie mit dem 11 Kilometer langen Damm je fertig werden, wenn das so weiterginge? Zum größten Teil lag dies an den ungünstigen Bodenverhältnissen. Die Anfuhrstrecke auf dem nassen Vorlande konnte trotz aller Sorgfalt nicht dauernd fahrbar gehalten werden. Eine Stopfkolonne von 30 bis 40 Mann war unaufhörlich daran beschäftigt. Trotzdem gab es tagtäglich Entgleisungen der Transportzüge, nicht selten auch Unfälle, mit denen Dr. Meusel ernstlich zu tun bekam. Weiter im Watt hatte das Osterley die größten Schwierigkeiten bereitet, dadurch, daß es vorm Kopf der Spundwand herwanderte, bis Bremer ihm von Barthels Kuhfenne aus den Weg verlegte. Als es dann die Spundwand wieder durchbrach – an jenem Morgen, an den Bremer nicht ohne nervöse Angst zurückdenken mochte –, da hatte der Husumer Zimmermann zu ganz ungewöhnlichen Maßnahmen greifen müssen, hatte eiserne Spundbohlen bis zu 12 Meter Länge rammen lassen müssen, nur um das Loch zu überschlagen. Und wenn Heinrich Bremer es dann nicht noch »mit Gold eingeschüttet« hätte, wie der Baurat sagte, so würde sich das Osterley endlich auch diese Zähne wieder ausgezogen haben. Es lag nach dem Zuschlagen der Strömung der Wasserspiegel im Norden um mehr als einen Meter höher als im Süden; das zeigte den starken Druck, zeigte auch, wie stark der Durchsturz bei einem Wehr sein würde, wie der Baurat es nun im Ernst für die andern Ströme plante. Waren doch außer dem Osterley noch das Holländer Loch, das Westerley und das alte Sylter Ley zu überwinden! Freilich lag die Sandbank zwischen ihnen, die »Dracht«, niedriger als Barthels Kuhfenne, so daß der abfließende Ebbestrom hier nicht ganz so stark war, wie auf Barthels Kuhfenne. Aber ob das viel ausmachen würde, ließ sich vorher nicht sagen.

Und endlich waren die Fortschritte im Spülfeld auch durchaus nicht nach Wunsch gewesen. Obgleich die Wasserbewegung durch die südliche Spundwand erheblich gemildert wurde, hielt der eingespülte Boden doch nicht recht stand. Auch bei stillem Wetter schwamm er breiig auseinander nur dadurch, daß die Flut kam, die Ebbe ging. Und da der Boden, darin sie befestigt waren, sich auch als zu weich und nachgiebig erwies, gaben dann die Buschdämme wieder nach, ließen sich von den Schlammmassen auseinanderdrücken – vom Wasser mitziehen. Erst wo mit Trockenförderung gearbeitet wurde, gewann der Dammfuß Halt; der sandige Kleiboden hielt, kostete aber auch sehr viel mehr Zeit.

Wenn Heinrich Bremer sich überschlug, wie lange der Damm auf diese Art noch dauern würde, ging ihm die Ungeduld wie Fieber durch die Adern. Dann wandte er sich wieder Meinert Lorenzens Bohrproben zu, baute Luftschlösser: wenn! und – wenn! und – wenn! Rechnete – fing an mit noch ungesicherten Hoffnungen zu rechnen, bis ihn die Erinnerung an des Baurats Mahnung: »Sparen Sie! Sparen Sie!« dann wieder auf den Boden nüchterner Tatsachen stellte. – –

Es kam aber der Tag, an dem Heinrich Bremer erfuhr, daß seine Luftschlösser sich zu soliden Bauten auf dem Erdboden der Wirklichkeit verdichten sollten! Es kam der Tag, da Meinert Lorenzen ihm einen abgerundeten Vortrag über das Ergebnis seiner Bodenuntersuchungen hielt und ihm an Hand der Proben seine Hoffnungen als Möglichkeiten bewies. Bremer packte ihn mitsamt seinen Bohrproben auf das Motorboot und fuhr mit ihm nach Husum zum Baurat Pflüger.

»Herr Lorenzen hat Süßwasser gefunden, genug für die Baustellen auf der Insel und Festlandsseite. Er hat im Morsumer Höhenrücken ein tüchtiges Lager tertiären Tons festgestellt. Er hat im Watt zunächst der Insel auch nur Schlamm gefunden, nichts als einen Schlammstreifen von etwa 200 Meter Breite. Danach dann aber grobkörnigen Sand und Kies in Mengen, Schichten von mehreren Metern Tiefe.« Also sprach Bremer, da er nicht die Ruhe hatte, Meinert Lorenzens bedeutend längeren Vortrag noch einmal über sich ergehen zu lassen. Lorenzen aber packte seine Bohrproben aus, breitete seine Skizzen vor den Baurat hin und bewies an Hand seiner Karten die Zuverlässigkeit seiner Funde. Der Baurat verstand.

»Wieviel können wir dadurch sparen?« fragte er, und Heinrich Bremer antwortete:

»Drei bis vier Monate noch an den fünf Jahren, die ich als Mindestsatz annehmen muß. Hiernach hoffe ich, daß wir's bis zum Winter 1927/28 schaffen können.«

Er sparte aber in der Folge ein ganzes Jahr.


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