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Es war Gondelina lieb, daß Elisabeth Eickemeyer den ganzen Winter über im Morsumer Pfarrhaus zu bleiben sich entschloß. Als Elisabeth sie um kurze Gastfreundschaft gebeten, um im Auftrage der Eltern ihnen für die Aufnahme, die sie Martin gewährt hatten, zu danken, hatte Gondelina noch nichts derart geplant. Die wortlose Begrüßung aber zwischen ihrem Gast und Heinrich Bremer hatte ihr gezeigt, wie es um die beiden stand, und da sie merkte, wie überaus wohltuend ihrem Vater Elisabeths anmutiges Wesen war, sprach sie die Einladung aus, und Elisabeth Eickemeyer nahm sie mit lächelndem Erröten an. Nahm sie an, ohne daß die Männer darein gemischt wurden. Weder Pastor Eschels noch Heinrich Bremer fragte, wie lange jetzt, nun der Winter vor der Tür stand und die Tage zusehends kürzer wurden; keiner von beiden wagte zu denken, daß sie wieder abreisen könnte, ehe – ja, ehe jeder von ihnen sein eigen Werk zum Abschluß gebracht haben würde.

Ehrlich gestanden: um Peter Boy Eschels Werk stand es nicht gut. Es stand kaum besser, als ehedem um Heinrich Bremers ersten Damm auf Barthels Kuhfenne. Und Eschels selbst wußte wohl, was ihm fehlte: das Rückgrat eines guten Gewissens! Wäre der Damm ganz ohne sein Zutun gekommen, so würde er ihn ohne jeden Zwiespalt in seiner Seele den Morsumern einfach als eine Notwendigkeit, die ihnen das Schicksal auferlegte, predigen. So aber bohrte in seinem Herzen der Stachel, daß er ihn nicht nur gewollt, sondern auch selbst gerufen hatte in dem Augenblick, wo der Damm ohne ihn vielleicht ins Nichts zurückgesunken wäre. Die Erinnerung ließ ihn alle Gegengründe der Morsumer doppelt gewichtig erscheinen; hinderte ihn, seinem Neffen Rasmus Claasen mit voller Schärfe entgegenzutreten; machte ihn weich selbst gegen Holm-Peters und den Lehrer Abrumeit. Wenn diese Stimmung über ihn kam, wenn sein schlechtes Gewissen ihm zu schaffen machte, dann war ihm Elisabeths Gegenwart fast unentbehrlich.

Sie fragte ihn nach Paula Borre, und er schilderte sie ihr, wie er selbst sie hier erlebt hatte.

»Ich kann Erasmus nicht unrecht geben. Der westerländer Saisonarbeiter hat den ganzen Sommer hindurch übernormal guten Verdienst – am ersten Tage nach Saisonschluß geht er dennoch zum Stempeln! Die weise Sparsamkeit des Bauern, der von einer Ernte zur andern mit seinen Vorräten durchhalten muß, ist ihm unbekannt.«

»Der Bauer aber steht auf eigenem Grund und Boden, das gibt ihm wohl ein Übergewicht«, meinte Elisabeth halb fragend.

»Eigener Grund und Boden –? Mit den Zwangshypotheken, die ihm die Nachkriegswirtschaft bescherte? Daß es bei den meisten noch aussieht, als ständen sie sicher, kommt nur daher, daß sie selbst noch nicht begriffen haben, wie unsicher sie stehen«, antwortete Eschels mutlos. »Ich komme mir oft vor wie Helfferich seinerzeit, als er um der Kriegsanleihen willen das Dogma vom Siege predigte, daran er selbst doch nicht mehr glaubte. Ehemals galt unter Bauern der als der Tüchtigste, der zugleich auch der Reichste war – denn war der Reichtum nicht einfach der äußere Beweis seiner Tüchtigkeit? Wohlstand war Gottes Segen, den er als Belohnung für tugendhaften Lebenswandel spendete, denn unter Tugend verstand der Bauer in erster Linie die tätige Sorge für Haus und Hof. Sehen Sie, das nenne ich gesunde Grundsätze! Darauf läßt sich aufbauen.«

»Ist aber eine harte Lehre, wenn man die Kehrseite bedenkt.«

»Der Vater meines Neffen, der frühere Gemeindevorsteher Volquart Claasen, war der erste, der für Morsum diesen Grundsatz brach, indem er öffentlich sich für die nördliche Bahnlinie bekannte, wodurch auch die Ärmsten im Dorf einen Nutzen gewannen. Die andern großen Bauern stimmten ausnahmslos für die südliche, für die sie selbst kein Land abzugeben brauchten. Sie stolperten dabei freilich über die eigene Selbstsucht; sie verloren dadurch ihren Einfluß bei der jüngeren Generation – aber vom Standpunkt einer gesunden Dorfpolitik muß ich ihnen beistimmen und nicht Volquart Claasen, der durch sein Stadtleben in jungen Jahren zu menschlich denken gelernt hatte.«

Elisabeth Eickemeyer schwieg eine kleine Weile. Dann sagte sie zaghaft:

»Uns Frauen eignet wohl von Natur ein mitleidiges Gefühl für alles Schwache und Schwächliche –«

»– und könnt es im geschützten Heim ja auch nach Herzenslust auswirken. Nur darf man eben den Staat als Ganzes nicht zur Kinderstube machen wollen!« antwortete Pastor Eschels mit gutem Lächeln. Denn wenn er auch fühlte, daß sie ihn nicht ganz verstand, so tat ihm ihr Wesen doch wohl. Gondelina aber fügte noch hinzu:

»Darin nun bin ich ein Morsumer Bauer: ich mag mir nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Habe ich ein Butterbrot übrig, nun, so kann ich's immer noch verschenken. Aber wer, wie die Morsumer sagen: nichts abzuschneiden, nichts von zu nehmen hat, der ist auch mir verdächtig – am meisten, wenn er dann noch von andern erwartet, daß sie ihm beides gäben.«


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