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5

Der Krieg brach aus – die Arbeit am Dammbau wurde eingestellt! Nun hatte Peter Boy Eschels in Morsum nichts mehr zu suchen. Nun aber konnte er nicht wieder ungeschehen machen, daß er hier als Pastor saß. Er fand sich mit echt Morsumer Würde ins Unvermeidliche. Er versorgte das Amt, das er einmal übernommen hatte. Er tat sogar mehr als seines Amtes war, tat es aus einer gewissen Unruhe heraus, und freute sich, daß Gondelina sich zunächst hier durchaus wohl zu fühlen schien. Sie malte, malte, malte. Ihr schien der Beruf nicht nur Mittel zum Zweck zu sein, wie er es so oft mit heimlichem Spott an den Studentinnen bemerkt hatte. Sie war wie berauscht von dem Licht dieses freilich besonders farbigen Sommers gewesen; sie gab sich nun ebenso selig dem stilleren Herbst hin; sie drang in die Häuser ihrer Verwandten ein, hatte Lene Volquart Claasen, ihres Vaters Schwester, gemalt in ihrem weißen Kopftuch mit den klaren und klugen alten Augen; sie zeigte sich begeistert von der unverrückbaren Würde dieses wohlgefügten Haushaltes, in dem die drei ältlichen Töchter unmerklich des Tages Forderungen erfüllten –

Wenn aber der Winter kommen würde – ein Morsumer Inselwinter? Was dann?

Der Winter kam, ein echter Morsumer Inselwinter. Gondelina sah mit Erstaunen in die schwerdunklen Tage; erlebte mit leisem Grauen, wie die Nacht sich immer früher in den Tag hineinfraß. Der Krieg mit seinen Einschränkungen machte ihr unmöglich, die Nächte durch künstliche Beleuchtung aufzuhellen. Sie reiste nach Süddeutschland zu ihren alten Bekannten. Niedergestimmt kehrte sie von dort nach Morsum zurück. Ihres Vaters Lehrstuhl war besetzt mit einem, den er selbst sich niemals zum Nachfolger gewünscht haben würde, und der sie seinen vermeintlichen »Sieg« auf unvornehme Art hatte merken lassen. Ihre Bekannten aber – »Sie sprechen nur noch vom Essen. Sie denken nur noch daran, wie sie am günstigsten Lebensmittel einkaufen könnten.«

»Auch ich habe schon meine Not damit, Fräulein Eschels«, sagte die alte Wirtschafterin, die mit ihnen aus Süddeutschland hierher gekommen war. Gondelina machte große Augen.

»Hier auf dem Dorf?«

Aber sie mußte bald selbst merken, daß die Morsumer nicht geneigt waren, ihren Pastor vor anderen Käufern zu bevorzugen. Nicht, weil sie Peter Bleik Bun etwa nichts gegönnt hätten, sondern einfach aus sturem Rechtsempfinden. Als Pastor war er doch Beamter, und wenn die Regierung gewisse Einschränkungen vorschrieb, war der Beamte doch wohl in erster Linie verpflichtet, diese Vorschriften zu beachten. Eschels hätten verhungern können, wenn sie sich nicht endlich selbst ein paar Schweine und eine Kuh angeschafft hätten. Dies geschah im zweiten Kriegswinter und kostete Eschels sein halbes Jahresgehalt, so wie die Geldverhältnisse nun schon lagen. Was aber schlimmer noch war: die alte Haushälterin nahm daraufhin ihren Abschied und ging nach Süddeutschland zurück. Gondelina hatte noch nie in ihrem Leben einen Stall ausgemistet. Sie verstand nicht zu melken. So mußte Peter Bleik Bun die Künste seiner Kindheit vorsuchen und sich selbst unter die Kuh setzen. Hier war es, wo er sich den dritten Namen gab, der dem Sylter von Rechts wegen zusteht: er nannte sich Don Quichotte von der Mancha. Seine Tochter aber, da sie ihm als Sancho Pansa bei seinem Auszuge aus der Universität treue Knappendienste geleistet hatte, meinte, daß sie nun die körperlichen Vorzüge beider Helden in ihr Gegenteil verkehrte. Sie wurde dürr und immer dürrer; »wenn man mich schüttelt, klappern alle Knochen«.

In der jungen Erkel Simonsen fand Gondel bald eine tüchtige Hilfe. Nach kurzer Schwankung fuhr der Haushalt wieder in normalen Gleisen, aber auf ihre Gemüter legte sich allmählich immer mehr der Druck dieses bäuerlichen und gleichzeitig insular eingeengten Lebens. Gondelina gab mehr und mehr das Malen auf und verbrauchte ihre alten Malerkittel nun als Wirtschaftsschürzen. Ihr Vater aber kämpfte einen dumpfen und immer hoffnungsloseren Kampf gegen die Tonangebenden im Dorf, die Alten, die nun, da alle Jungen im Kriege waren, das ohnehin langsame Lebenstempo noch um fünfzig Jahre zurückdrückten, so daß es Peter Eschels unmöglich wurde, überhaupt noch irgendeine Bewegung wahrzunehmen; ihm schien das Leben hier zu völligem Stillstand gekommen zu sein, und aus einer unklaren Schuljungenerinnerung heraus taufte er diese Dorfältesten in Anlehnung an die Chinesische Mauer bei sich die Morsumesen und weihte ihnen einen nur mühsam verdeckten Haß.


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