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Auch Peter Eschels sah das schlechte Wetter kommen; er sah es an dem grauen Ton von Himmel und Wasser, der unnatürlich bleifarbig wirkte. Und Gondelina, die Landfremde, spürte es in allen Nerven. Wie Bremer, so hämmerte auch ihr das Blut in den Schläfen, und das Herz lag ihr wie ein toter Fremdkörper in der Brust. Jeder Gedanke, für den sie sich Klarheit erzwingen wollte, schmerzte, jede Bewegung kostete Anstrengung.
»Böses Wetter im Watt – böses Wetter im Dorf!« sagte Peter Eschels sorgenvoll. »Freilich hat Holm-Peters damals bei der Abstimmung über die Bahnlinie eine öffentliche Niederlage erlitten. Nun hinterher aber rumoren seine Worte doch noch in den Herzen weiter. Meinert Claasens Äußerung ›mag sein, daß der Wattendamm nie gelingen kann!‹ gilt vielen heute als ein Trost, und wenn das böse Wetter jetzt alles bisher Gebaute vernichten wollte, so würden sie dessen froh sein. Ich entbehre seinen Bruder bitterlich.«
Denn nach Volquarts Tode war Meinert Claasen zum Gemeindevorsteher gewählt, der hinkte nach beiden Seiten. Sein Gefühl zog ihn zu Peter Eschels, dessen lebendige Zukunftswünsche ihn heimlich lockten; sein Verstand aber konnte sich gegen Holm-Peters Beweisführung nicht verschließen, denn Meinert war auch Bauer wie er; war ganz Bauer, und nicht wie Volquart in seiner Jugend durch städtisches Leben gegangen. Er wußte, daß der Landwirt auf dem Festland jetzt abhängig geworden war von den Mächten der Börse und des Großhandels. Und Pastor Eschels, der ihn von innerer Unruhe getrieben, jetzt manchmal um nichtiger Vorwände willen aufsuchte, mußte es ihm selbst bestätigen. Meinert saß lange nachdenkend.
»So hat Holm-Peters recht?«
»Er hat recht!« sagte Eschels – da fiel ein Schatten durchs Fenster, und der, von dem sie sprachen, trat ins Haus. Meinert öffnete ihm die Stubentür. Cornelius Peters stutzte, als er Eschels gegenüberstand, und grüßte ihn mit Zurückhaltung, so daß Eschels der Wunsch ankam, diese Gegnerschaft zu besiegen.
»Ich sagte soeben, daß Sie recht haben, Peters, in allem, was Sie seinerzeit gegen den Dammbau anführten«, begann Eschels und schob sich wieder in die Fensterbank zurück, daraus er aufgestanden war, den andern zu grüßen. »Ich weiß wohl, daß der festländische Landwirt keine Ruhe mehr kennt, daß seine Freiheit, seine Unabhängigkeit dahin und er nicht mehr sein eigener Herr ist. Was Deutschland an Landwirtschaft hat, wird von den Riesenernten Australiens und Kanadas erdrückt. Hat der Bauer eine gute Ernte, der Großhandel, die Börse, halten die Preise niedrig, so daß er keinen Vorteil davon hat. Und eine schlechte Ernte bringt ihn in Schulden. Bisher war der Sylter Bauer von dieser Sklaverei noch frei. Der Badebetrieb der Westdörfer brauchte all seine Produkte, und mehr als das, und die schlechte Verbindung mit dem Festland, mit den Handelszentren bewahrte ihn vor der Gleichmacherei, die von allen Seiten an ihn herandringt.«
Holm-Peters antwortete nicht, sah Eschels nur spöttisch an. Besorgt blickte Meinert Claasen von einem zum andern.
»Und dennoch bist du für den Damm, Pastor?«
»Ich halte ihn für unvermeidlich.«
Holm-Peters Blick wurde finster; der Spott wich daraus, Haß stieg langsam auf.
»Wenn wir einig wären –«
»So würde auch dies uns Morsumern nicht nützen. Die Westdörfer würden uns immer überstimmen. Müßten es auch, denn wenn der Damm nicht gebaut wird und diese Verbindung über Dänemark beibleibt, und beibleibt, daß alle Gäste, die auf die Insel kommen, vorher in Hoyerschleuse eingesperrt werden, dann muß der Besuch bald abflauen. Die Badeorte sind abhängig vom Damm, die Sylter Landwirtschaft abhängig von den Badeorten. So sehe ich die Sache –«
Damit stand Eschels auf und verabschiedete sich. Er merkte, daß sogar Holm-Peters im Augenblick nichts zu erwidern wußte, und wollte die Wirkung seiner Worte nicht abschwächen. »Er haßt mich«, dachte er im Fortgehen, »ich darf ihn nicht beschämen. Nur der Unterliegende haßt –«
Inzwischen sagte Meinert Claasen drinnen in der Stube: »Auch der Pastor hat recht, Cornelius.«
Holm-Peters zuckte die Achseln.
»Worin denn? Darin, daß wir zwischen dem einen und dem andern zerrieben werden? Am Damm gehen wir zugrunde, das ist sicher. Wenn der Badebetrieb abnimmt, braucht Westerland doch immer noch Futter.«
»Auch dann, wenn allmählich alle Städter dort wegziehen und nur die Sylter noch bleiben? Ich sehe wohl, was Eschels meint, und mich dünkt, er hat recht. Wir müssen wohl vom Festland lernen, müssen intensiver wirtschaften.«
»Intensive Wirtschaft, das heißt, daß wir unsere Jungs auf die landwirtschaftlichen Schulen schicken müssen. Intensive Wirtschaft, das heißt: Maschinen! Lohnen die auf unsern kleinen Bauernstellen? Und kann dein Hof vielleicht die ersten Ausgaben tragen? Meiner nicht.«
Meinert Claasen seufzte schwer.
»Wo aber siehst du denn noch einen Ausweg?«
»Wenn wir einig wären –«, wiederholte Holm-Peters halblaut.
Meinert sah erstaunt auf. »Ich verstehe nicht –«
In den Augen des andern glomm ein böses Licht.
»Wir Morsumer haben die meisten Arbeiter draußen – wenn wir alle einig wären – und verschwiegen –«
»Dazu biete ich meine Hand nicht!« rief Meinert Claasen entsetzt. »Wenn eine Sturmflut käme, ja, ich weiß nicht, ob ich nicht Gott dafür danken würde –«
»– doch selbst zu handeln, ist nicht deine Sache, ich weiß. Nun, vergiß meine Worte, sie waren wohl nicht so ernst gemeint, wie du sie nimmst. Deine Freundschaft mit dem Pastor gibt dir ein krankes Gewissen.«