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Heinrich Bremer beschleunigte den Bau einer Wohnbaracke für seine eigenen Arbeiter nach Möglichkeit. Denn nun sollte die Firma Fritz Hurtig Söhne anrücken, die den Bau der Landstrecke Westerland-Morsum im Auftrage der Reichsbahn ausführte. Diese Firma setzte ihre Baracken hart nördlich des Nösseweges, so daß sie zwischen Bremers Wohnschute und seinen Arbeitsplatz zu liegen kamen. Bremer ahnte Unzuträglichkeiten, und da die Ladebrücke immer noch nicht so weit gefördert war, daß er die Wohnschute daran festmachen konnte, baute er in aller Beschleunigung die Baracke und legte seine Arbeiter dort hinein. Gab die Wohnschute aber doch nicht gleich wieder nach Husum ab – was Eschels als erfreuliches Zeichen nahm, daß er seine Arbeiterschaft vermehren würde. Und die Firma Hurtig rückte nun auch an.

Gondelina freilich freute sich des Zuwachses nicht so unbefangen wie ihr Vater.

»Nun hatte Bremer seine Leute schon so gut gesiebt, nun wird es erst wieder neuen Verdruß geben!«

»Was kann denn geschehen?« meinte ihr Vater unbekümmert. »In der ›Hohen Heide‹ sitzen die Herren selbst. Die Gastwirte im Dorf sind übereingekommen, die Arbeiter nicht in ihre Wirtschaften zu ziehen, und Bremer hat für seine Kantine nur alkoholfreien Betrieb beantragt.«

Peter Bleik Bun aber hatte als echter Morsumer fälschlich angenommen, daß Morsum allein auf der Welt läge. Ein Keitumer kaufte ein Stück Land hart neben dem fiskalischen Baugelände und errichtete dort ebenfalls eine Kantine, für die er sich heimlich schon vorher die volle Konzession erworben hatte – so daß Bremer nun das gleiche tun mußte, sollte sein Kantinenpächter überhaupt bestehen.

So kam bald viel Alkohol unter die Leute. An den Arbeitstagen merkte man von den Arbeitern der Firma Hurtig fast weniger noch als von Bremers Leuten. Dort wurde ständig mit Überstunden gewerkt. »Wir sind die Firma Hurtig, und wer nicht hurtig mitarbeiten will, der mag nur lieber gleich wegbleiben«, sagten die Schachtmeister und Werkführer, und jeder suchte mit seiner Kolonne dem andern noch zuvorzukommen. So hatten die Arbeiter alltags keine Zeit zum Trinken. Sonntags aber ging es dafür desto großartiger her. Da vertranken die meisten ihren reichlichen Lohn in rücksichtslosem Leichtsinn. Dann war oft ein wüstes Treiben im Dorf. Scharen betrunkener Männer zogen durch die sonst so stillen Straßen, grölten und johlten, stiegen auch wohl über die Steinwälle in die Gärten ein, klopften von außen an die erleuchteten Fenster, erschreckten Frauen und Mädchen, und daß nicht öfter noch Schlimmeres geschah, verdankte Pastor Eschels mehr den soliden Fäusten seiner Landsleute als seinem eigenen pastoralen Einfluß. Er hatte den Lesesaal bei Bremer erreicht, hatte ihn mit Büchern und Bildern freundlich ausgestattet, und Gondelina hatte gutmütig ihren alten Globus darein gestiftet. Allwöchentlich hielt Eschels hier den Arbeitern naturwissenschaftliche oder geschichtliche Vorträge, denn für religiöse dankten die Arbeiter selbst, und politische hatte Bremer prinzipiell untersagt. Aber das war auch alles, was Eschels hier tun konnte, um den Leuten »über den Alltag hinaus« etwas zu denken zu geben.

Die undurchführbaren Verordnungen und Gesetze der Kriegszeit hatten die ursprüngliche Achtung vor dem »Es stehet geschrieben« durchbrochen; die vielfach unverständlichen Verfügungen der Nachkriegszeit den letzten Rest der Achtung hinweggefegt. Was an staatlicher Disziplin geblieben, war kaum mehr als der natürliche Mensch an sich besaß – je nach Bildung und Eigenkultur ein mehr oder minder beeinflußbares Gewissen. Den ungelernten Erdarbeiter, der beim Dammbau beschäftigt wurde, erhob es nicht hoch über das Tier. Die diesjährige Westerländer Saison war unter normal geblieben, und etliche von den Frauenzimmern, die Frau Lene Volquart Claasen nicht hätte »mit der Feuerzange anfassen« mögen, hatten bei Schluß nicht einmal mehr genug Reisegeld gehabt, um den nächsten deutschen Festlandsort zu erreichen. Die waren nun in Morsum gestrandet. Es gab da eine Franziska und eine Lovise, aber auch eine Cilly und eine Rosemarie – es war für jeden Geschmack der passende Artikel vorhanden, nur leider nicht in Auswahl, sondern in der Menge stark beschränkt. Sie alle aber, die in Westerland schließlich jeden Pfennig genommen, wußten nun von heut auf morgen wieder ihren Preis zu setzen. Nicht, daß es sich nur um bar Geld gehandelt hätte, bewahre, es ging auch um »Liebe«, und drei von ihnen sahen in Bremers nur unter Vorbehalt wieder eingestelltem Rammarbeiter Wronski, einem riesenhaften Kerl, das Ideal aller Männlichkeit, namentlich, wenn er zu allen sonstigen Vorzügen noch stark betrunken war. Hinter der Cilly allein aber waren mindestens zwanzig Männer her, obgleich der Herr Pastor diesen Geschmack nicht recht verstehen konnte. Aber um hier Frieden zu stiften, dazu reichte sein pastoraler sowohl als auch menschlicher Einfluß bei weitem nicht aus –

»Bleib du man außen vor – wenn ick dir bloß seh, kommt mir's Essen zurück!« Oder: »Ick schmeiß dir in'n Kleiderschrank, daß du an de Knaggen hängenbleibst!« Solche und ähnliche freundliche Erwiderungen wurden Eschels als Dank für seine Bemühungen – es kamen aber auch unfreundliche vor.

Schließlich wurde klar, daß Wronski sich der Frau Sigulla zuwandte, und dadurch kam es zur Katastrophe. Sigulla selbst nahm dies übel. Er war ein gefährlicher Kerl, hübsch und auffallend brünett, obgleich er seinen Papieren nach aus der Segeberger Gegend stammen sollte, heftig, jähzornig und über die Maßen verliebt. Leider nicht immer und ausschließlich nur in seine Frau. Kaum aber mußte er bemerken, daß der Wronski sich um sie bemühte, so erschien ihm die eigene Frau auch wieder begehrenswert. Sie lief ihm davon und stellte sich unter den Schutz der Frau Kantinenwirtin. Da kam er ins Pfarrhaus.

»Ich hab' auch Schuld, Herr Pastor, weshalb lief ich der Cilly nach, aber die wollte ja auch nur den Wronski. Und nun meine Frau. Ich sag' Ihnen: helfen Sie mir, daß ich aus der Kolonne Everschop komme! Wenn ich so neben dem Wronski arbeiten muß, und ich hab' gerad den schweren Hammer zu fassen, ich weiß nicht, was geschieht –«

Der Mann sah gefährlich aus in seiner Wut, und Eschels fand geraten, dem ehrlichen Hilferuf Folge zu leisten. Aber als Bremer ihn dabei etwas erstaunt grüßte: »Was hast du denn vor Tau und Tage hier auf dem Arbeitsplatz zu suchen?«, da bekam sein Schiff ein Leck, und er erzählte ihm den Roman.

Bremer wurde ärgerlich.

»Sie hätten lieber gleich gestern abend noch zu mir oder einem der Herren der Firma Hurtig schicken sollen! Der Sigulla schießt uns noch in irgendein Fenster, dahinter er den Wronski vermutet, und trifft einen von uns. Oder die Cilly streut uns Gift ins Essen.«

»Mir ist ja unverständlich«, sagte Eschels nachdenklich, »was die Frauen alle am Wronski haben.«

»Mir nicht!« erwiderte Bremer trocken. »Wenn er betrunken ist, können sie ihm den letzten Groschen aus der Tasche ziehen. Es ist mir nicht ums Geld, sagt die Cilly –, aber man will sich doch auch mal was kaufen.«

Mit tiefer Lebensweisheit beladen zog Eschels wieder heim, und am gleichen Nachmittage noch schoben Bremer, der Vertreter der Firma Hurtig und Meinert Claasen mit vereinten Kräften die gesamte Kantinenweiblichkeit aufs Festland ab.

»Ja, Pastor-Ohm«, sagte Rasmus Claasen mit behaglicher Schadenfreude, »mit der christlichen Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit hat es doch so seine Schwierigkeiten. Du willst, daß wir uns mit den Arbeitern auf gleich und gleich stellen – möchtest du mir solch Barackenleben gönnen?«

»Ihnen aber euer Leben!«

»Wäre doch –« antwortete Rasmus Claasen hierauf, und der ganze Stolz des alteingesessenen Bauerngeschlechtes sprach aus seinen Worten: »– wäre doch nicht einer unter ihnen fähig, einen Hof zu halten!«


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