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In diesem Winter kam zu Heinrich Bremer die Anfrage, ob er den Dammbau nach Sylt ausführen wollte, und er griff mit beiden Händen zu. Nur Arbeit, Arbeit um jeden Preis! Nicht denken und grübeln jetzt, nur handeln! Er hatte in diesen drei Jahren mehrfach Vertretungen übernommen, hatte auch aushilfsweise in technischen Büros gearbeitet – um dann wieder mit Schrecken feststellen zu müssen, daß sein Gehirn nicht ganz zuverlässig mehr war, daß sein Gedächtnis ihn oft im Stich ließ. Das hatte ihn auch verhindert, sich seinen alten Freunden, dem Geheimrat Eickemeyer und seiner Tochter Elisabeth, wieder zu nähern. Er schämte sich der Unsicherheit seiner Nerven und seines Gedächtnisses wie eines körperlich häßlichen Fehlers. Er wagte nicht, über den Tag, über das Heute hinaus zu denken.

Nun nahm er die Arbeit am Sylter Damm mit Freuden an, vor allem deshalb, weil er dabei viel in freier Luft sein könnte. Büroarbeit, geldliches Rechnen und technisches Zeichnen, verursachten ihm immer noch Kopfschmerzen und ließen jene leise ziehenden Schwindel entstehen, die der Gedächtnisschwäche vorausgingen. Auch kannte er die Nordsee noch nicht –

Diese Bekanntschaft erwies sich dann allerdings zunächst als herzlich unerfreulich. Unter viel frischer Luft hatte er sich doch nicht so sehr viele und so sehr frische Luft vorgestellt. Die Winde hier im Norden waren bissig, die Nächte noch keineswegs frostfrei, als Heinrich Bremer seine Arbeit am Klanxbüller Außendeich aufnahm. In Frankfurt am Main hatte er in den Anlagen schon grün überhauchte Büsche, darunter blühende Frühlingsblumen, beobachtet. Hier lag die Erde noch grau und tot, und wo etwa sich ein grünes Hälmchen hervorwagen wollte, wurde es von hungrigen Schafen kurz abgenagt.

Doch Frühling oder Winter – Heinrich Bremer tat seine Arbeit, lief von morgens früh bis abends spät über das öde Gelände, schickte seine Gehilfen mit den weißroten Stäben hierhin und dorthin, visitierte, notierte – und endlich fuhr er auch nach Sylt hinüber, um dort nach seinem Techniker Scholz zu sehen, fand ihn als Hannes-Hannes wieder und lernte Pastor Eschels kennen.

»Komischer Kauz, dieser alte Pastor«, sagte er hinterdrein zu Hannes-Hannes, und der zuckte die Achseln.

»Wenn man so nichts anderes auf der Welt kennt als Morsum – er ist noch der einzige Mensch hier, der überhaupt für den Damm ist, die andern sind alle dagegen.«

Das kümmerte nun freilich weder Heinrich Bremer noch auch den Techniker Scholz weiter viel, daß die Sylter über sie die Köpfe schüttelten –

»Verrücktes Volk, diese Festländer! Bauen wahrhaftig erst eine Eisenbahn drüben und eine hier, ehe sie mit dem Wattendamm anfangen – als ob der nicht die Hauptsache wäre! Habt lhr's gehört? Drüben soll die Strecke Niebüll-Klanxbüll schon fast fertig sein, und bei Westerland fangen sie auch schon mit Aufschüttungen an. Wenn sie hernach den Wattendamm überhaupt nicht schaffen, haben sie unser ganzes schönes Land umsonst verdorben. Können sie uns nicht wenigstens den Sommer über noch die Weide lassen?« Und die beiden alten Fräulein Erasmine und Petrina Broder Thiessen waren bereit, an der Gerechtigkeit des Himmels zu verzweifeln, wenn sie nun ihre Ziege nicht mehr auf dem bisher herrenlosen Gelände würden pflöcken dürfen –

– dann aber stellte sich heraus, daß Heinrich Bremer mit Hannes-Hannes wieder nach der Festlandküste abziehen und das Morsumer Land vorläufig unberührt liegenlassen wollte; auch das, welches der Reichsbahn schon seit 1914 gehörte. Und die Gemüter beruhigten sich wieder.

Am letzten Abend kam« Rasmus Claasen, der Sohn Volquarts, zu Bremer: »Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht Arbeit für uns haben? Ich bin gelernter Schiffszimmermann, mein Bruder Schlosser.«

»Glaubt Ihr jetzt, daß der Damm gebaut wird?« fragte Hannes-Hannes grinsend.

»Daß Ihr ihn bauen wollt, ja! Und solange das Spiel dauert, können wir vielleicht auch daran verdienen.«

»Arbeit habe ich wohl«, sagte Bremer nachdenklich; »aber die sonst bei mir arbeiten, wohnen in Klanxbüll oder Rodenäs –«

»Ich habe mir schon die Gelegenheit angesehen«, meinte Rasmus Claasen gleichgültig. »Wenn wir nur den alten Schuppen, der von 1914 da noch steht, bekommen können, soll uns der wohl für die Woche genügen. Über Sonntag fahren wir heim, wir haben ein kleines Flachboot zum Staken.«

Heinrich Bremer schaute durchs Fenster übers Watt hin, das heute unter kalten Regenböen unruhig sich krauste, und obgleich ihn diese ersten Wochen schon abgehärtet hatten, schauerte er doch unwillkürlich zusammen.

»Wie Sie es machen, ist Ihre Sache. Anstellen aber kann ich Sie nur, wenn Sie auch zuverlässig an jedem Montag früh bei der Arbeit sind.«

»Da soll nichts an fehlen«, antwortete Rasmus Claasen, und somit war der erste Vertrag zwischen Morsum und dem Festland geschlossen.

Es fanden sich nach den Söhnen Volquart Claasens bald noch mehr Morsumer, die bei Bremer um Arbeit fragten und von ihm angenommen wurden. Da war Max Bossen – in Wahrheit nach seines Vaters Heros vor sechsundzwanzig Jahren »Marx« getauft –, ein tüchtiger Tischler, der den alten Schuppen mit etlichen Pritschen, Bänken und Tischen sozusagen wohnlich machte. Boy Thiessen aus Ostende, gelernter Schiffszimmermann gleich Rasmus Claasen. Die drei Schmidts, die überall zupackten, wo die Arbeit just am schwersten war, riesenstarke Leute mit Fäusten wie aus Eisen, dazu einer gründlichen Kenntnis vom Watt und seinen Strömungen, Gezeiten, Wind und Wetter, abgehärtet und immer munter; wenn sie auch kein Handwerk gelernt hatten, fand Bremer sie doch nachmals gut zu brauchen, nach dem alten Sylter Wort: »Mit Kenntnissen und einem tüchtigen Messer läßt sich viel machen.« Daneben Kunje Boysen, der Einhändige, der von Bremer im Büro beschäftigt wurde, aber gern draußen mittat, wo etwa Not am Mann war. Boy Petersen und Carl Volquartsen, die beide nicht kräftig genug waren, Überstunden auszuhalten, und als die Arbeit schwerer wurde, wieder ausscheiden mußten. Und endlich auch der fast taube Hans Düysen; auch er meldete sich bei Bremer, und da die Bauleitung verpflichtet war, einen gewissen Prozentsatz Kriegsbeschädigter unter ihren Arbeitern zu beschäftigen, und Sylter obendrein bei der Anstellung zu bevorzugen, nahm Breuer ihn auch an, und er erwies sich in der Folge als ein tüchtiger Arbeiter, achtsam und stetig.


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