Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

29

Im zweiten Monat des neuen Jahres kam Pastor Eschels nach Husum und ins Neubauamt, wo Heinrich Bremer noch allein über einigen Privatbriefen saß; kam mit zwei nicht eben großen Handkoffern an, die aber schwer wie Eisen waren.

»Es war da eine Anzeige in der Sylter Zeitung, daß hier ein Händler altes Notgeld aufkauft, vermutlich zum späteren Weiterverkauf an Sammler. Nun bin ich hier mit unserem Morsumer Notgelde, denn fürs Einstampfen sind diese netten Bilderchen doch zu schade.«

»Daß Sie sich für Ihre Gemeinde so abschleppen!«

»Ich bot mich freiwillig an«, schmunzelte Eschels listig, »mich interessiert Husum so außerordentlich. Und da die Morsumer seit dem Verkauf des Pfarrackers Vertrauen zu mir haben – leider allerdings mehr zu meinen kaufmännischen als pastoralen Eigenschaften! –, so setzten sie mir 10 Prozent vom Gewinn aus, falls mir der Verkauf glücken sollte.«

Er grub die Anzeige aus seiner Brieftasche, und Heinrich Bremer half ihm gutmütig, die schweren Koffer nach der angegebenen Wohnung des Händlers zu schleppen. Der aber war längst hinter Deich und Fluß, würde jetzt wahrscheinlich gerade in Bremen sein, meinte seine Frau.

»Macht nichts«, sagte Eschels in unverwüstlich guter Laune; »gibt es überhaupt solche Händler, wird es deren wohl auch in Hamburg geben, und ich kann gleich weiter dorthin fahren. Heute noch? Nein, mich verlangt's nach einem guten Abendschoppen mit Ihnen. Kommen Sie, ich lade Sie auf meine 10 Prozent ein!«

Kaum aber saßen sie in einem stillen Winkel der gemütlichen Weinstube, als Peter Boy Eschels auch gleich aufs ganze ging:

»Wie steht es mit dem Damm?«

Da fiel die Mutlosigkeit über Heinrich Bremer.

»Die Reichsbahn kann ihn nicht bauen. Seit Wochen schon verhandelt der Baurat mit den Herren. Wie kann auch ein Unternehmen, das kaufmännische Gesichtspunkte vor allem vertreten soll, einen Damm bauen, der teuer werden muß, soll er stehen!«

Pastor Eschels trank schweigend.

»Wie sollte sich die Aufgabe verzinsen?« fuhr Heinrich Bremer erregt fort. »Das arme Deutschland wird nicht mehr so viel Badegäste nach Sylt schicken können wie früher das reiche Deutschland –«

»Desto mehr Passanten fürs Wochenende, wenn die Bahn erst fährt«, sagte Eschels trocken, »und schließlich wird uns das aufschlickende Land manch guten Koog für die Bauern liefern. Das Landwirtschaftsministerium muß helfen.«

»Tut es auch«, bestätigte Bremer etwas getröstet, »die haben da wohl so allerlei Rosinen im Kuchen, weil die Landwirtschaft durch die Inflation doch gewonnen hat.«

»Das ist blauer Dunst. Die Claasens müssen Vieh verkaufen, nur um die Steuern zahlen zu können – aber die Köge am Damm können ertragreich werden, das ist keine Frage; angeschlicktes Land ist wertvoller als jedes andere. Freilich: die See schafft das Land nicht, sie verlagert es nur. Was sie an Ihrem Damm schaffen wird, hat sie vorher von Sylt abgerissen – und soll dann doch so viel wertvoller werden, als die Sylter Marsch an sich ist.«

»Ich verstehe von alledem nichts«, rief Heinrich Bremer aus. »Ich weiß nur, daß ich jetzt einen Damm bauen könnte, der halten würde!« und fing an und erzählte, wie er sich nun den Bau dachte, mit eingeschütteter Spundwand als festem Rückgrat – und nahm die Weinkarte und zeichnete auf, was er Eschels mit Worten allein nicht klarmachen konnte.

Peter Boy Eschels aber saß und trank und seine Gedanken gingen andere Wege – und aus Peter Boy Eschels wurde immer mehr wieder Peter Bleik Bun, der alte Morsumer Bauer. Er war vor einigen Wochen Meiners begegnet, und der hatte ihn nach dem Damm gefragt. »Wenn wir ihn nicht wollen, Pastor, dann kann daraus nichts werden. Wir Menschen sind Gottes Hände. Wenn Zeppelin nicht sein Luftschiff gewollt hätte, würde Gott allein es nicht fertiggebracht haben« –

»Was haben Sie aus dem Meiners gemacht, Bremer!« sagte Eschels.

Bremer fand sich nicht gleich zurecht. Er stand mit seinen Gedanken am Osterley und suchte die Strömung zu durchdämmen. Aber Max Milian Meiners war nicht sehr weit davon entfernt.

»Meiners?« sagte er zerstreut, »was habe ich für ihn getan?«

»Sie hatten Geduld mit ihm und dadurch hat der Mann reden gelernt. Als ich ihn seinerzeit traute – es war das stumpfsinnigste Brautpaar, das ich je gesehen! Der Krieg hat ihn etwas wachgerüttelt. Aber durch den Verkehr mit Ihnen hat er erst reden gelernt, nun finden seine Gedanken den Weg zu seinen Mitmenschen – Sie hatten Geduld mit ihm. Ohne Sie gerät er ins Sinnieren. Kommen Sie zurück. Helfen Sie ihm weiter. Sie haben Geduld mit ihm!«

»Er mehr noch mit mir«, murmelte Bremer und dachte an den letzten Tag auf Barthels Kuhfenne – und glitt wieder ins Osterley – »Ja, sehen Sie, Pastor, da ist noch ein Problem –« und rechnete, wie sich die Strömung verstärken mußte, wenn er sie mit Steinschüttungen einengen würde, und erschrak vor den eigenen Zahlen und rechnete wieder –

– und Peter Bleik Bun saß neben ihm, trank und dachte: »Gott kann nichts tun ohne uns. Aber war es denn wirklich Gott, der den Damm wollte? Oder war Er es, der ihn vernichtete? Ich, Peter Bleik Bun, wünsche den Damm nicht. Vielleicht, da ich seine Folgen klarer übersehe, verwünsche ich ihn mehr noch als sonst jemand im Dorf. Und doch will ich ihn – weshalb? Ist das Gottes Stimme, die mir von ihm spricht? Oder nur meine eigene, menschliche – fluchwürdige Neuerungssucht? Was ist's, das mich treibt? Ich weiß es selbst nicht –«

»Das Profil war gut«, sagte Bremer, in seine Zeichnung vertieft. »Das kann so bleiben, die Bermen 1:8 –«

Peter Bleik Bun legte seine Hand auf die Zeichnung.

»Ich weiß nicht, was Bermen sind, aber sagen Sie mir, Baumeister: was ist Gott?«

»Ja, wenn Sie das nicht wissen? Meines Amtes sind die Bermen!«

»So sagen Sie mir: wofür bauen Sie den Damm? Für Gott oder für den Teufel?«

Heinrich Bremer sah mit etwas besorgtem Blick auf die leeren Flaschen, die da vor ihnen standen; hatten sie die wirklich ausgetrunken?

»Wofür bauen Sie den Damm? Für Deutschland oder für Sylt?«

»Für mich«, sagte Heinrich Bremer, und wollte das Wort erklären und fing wieder an, von seinem Plan zu sprechen, der in seinem Herzen lebte nicht minder als in seinem Kopf. Aber Eschels verstand ihn auch ohne Erklärung –

»So bist du dein eigener Gott«, dachte er und winkte, daß eine neue Flasche gebracht werde, trank hastig und dachte weiter: »Du willst den Damm – für dich! Für mich kann ich ihn nicht wollen, denn ich brauche ihn nicht, weder so noch so. Was geht er mich an? Nur, daß ich die Macht spüre, ihn ins Werk zu setzen. Und die Macht, ihn zu hindern. In meine Hand ist er jetzt gegeben – brauche ich meine Macht? – lasse ich den Augenblick vorübergehen? Wer mir doch sagen könnte, was recht ist –« seufzte und schenkte sich ein frisches Glas ein.

»Wenn eine Frau ein totes Kind zur Welt brächte, der könnte nicht schlimmer zumute sein als mir, wenn ich meinen neuen Plan in den Ofen stecken müßte«, sagte Heinrich Bremer. Peter Bleik Bun sah ihn von der Seite an.

»War da nicht ein Versprechen?«

»Mir hat niemand etwas versprochen, soviel weiß ich für sicher«, antwortete Heinrich Bremer schwermütig.

»Aber uns, den Syltern, bei der Abstimmung – hee, wäre das nicht ein Spaß, wenn jetzt die Zeitungen plötzlich anfingen zu schreien: Versprochen ist versprochen! Deutschland muß sein Versprechen halten und wenn's ihm noch so sauer wird? Hee, wäre das nicht ein Pläsier?«

Was wollte der Alte?

»Ich glaube, wir sollten die Sitzung schließen, Herr Pastor!«

»Was Sie nicht alles glauben! Und von Gott wollen Sie doch nichts wissen? Wollen mir nicht sagen, ob der Damm von Gott wäre oder vom Teufel? Wollen mir nicht sagen, ob das Alte von Gott war oder das Neue von Gott sein wird? Tat Graf Zeppelin Gottes Werk?«

»Für mein Gefühl – ja, Herr Pastor.«

»Und der das elektrische Licht erfand, tat auch Gottes Werk, hee? Aber wie steht's mit dem Schießpulver und mit Bomben und Maschinengewehren?«

»Je nachdem –«

»– ob wir sie verwenden oder unsere Gegner, hee? Sie kommen wirklich Salomo gleich in seiner Weisheit, mein Sohn. Aber vielleicht haben Sie auch darin recht, daß wir die Sitzung jetzt aufheben sollten – uff, diese alten Knochen! Reiben Sie mir doch mal ein bißchen das Kreuz, werter Herr Baumeister –« und während Bremer lachend seinen Wunsch erfüllte, fuhr Eschels seufzend fort: »Also es wäre ein Spaß, wenn der deutsche Blätterwald zu rauschen begönne? Es wäre wahrhaftig das rechte Mittel, um der teuren Reichsbahn etwas auf die Hacken zu treten?«

Und Heinrich Bremer rieb weiter und lachte, daß ihm die Tränen in die Augen traten:

»Als ob dabei nicht wieder der Teufel seine Hand im Spiel hätte?«

»Sie wissen nicht, worüber Sie lachen, Bremer«, sagte Pastor Eschels und wickelte sich einen alten grauwollenen Schal dreimal um den Hals: »Aber meinen Sie nicht, Herr Baumeister, daß es – ganz abgesehen vom christlichen Standpunkt – einfach menschlich wäre, wenn Sie mich jetzt in mein Hotel und mein Bett brächten?«

Und immer noch lachend gingen sie endlich Arm in Arm durch die längst nächtlich stillen Straßen der kleinen Stadt, bis sie das Hotel wiederfanden, in dem Pastor Eschels von Morsum seine Koffer voll Millionen- und Milliardenscheinen eingestellt hatte.


 << zurück weiter >>