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22

Wenige Stunden später erwachte er von einem Donner, der dumpfgrollend über sein niedriges Pappdach dahinrollte. »Schon wieder ein Gewitter!« dachte er verzweifelt, riß die Augen auf und sah in flammende Röte – »brennt es?« Dabei aber war er schon wieder eingeschlafen, und als er sich endlich ermunterte, fand er seine Kammer dunkel wie bei erstem Tagesgrauen. Als er aber nach der Uhr sah, mußte er feststellen, daß er erheblich über die gewohnte Zeit hinaus sich versäumt hatte. Hastig kleidete er sich an und ging zur Kantine hinüber, wo er schon niemand mehr beim Frühstück fand. Als der Wirt ihm seinen Kaffee brachte, rauschte ein plötzlicher Regenguß hernieder, und ein erster Windstoß rüttelte an den dünnen Wänden.

»Wir hatten auch ein gefährliches Morgenrot heute vor Tag«, meinte der gesprächige Wirt. »Ein hohes Morgenrot gibt niedrige Segel, sagen die Sylter. Wenn ich mein Dach reffen könnte, würde ich es auch tun, es fliegt mir noch mal davon. Herr Baumeister müssen sich das einmal ansehen –«

»Heute habe ich keine Zeit.«

»Braucht ja auch nicht heute zu sein. Nein, heute werden Herr Baumeister wohl den Damm inspizieren müssen. Wer nicht beten kann, muß zur See gehen, sagen die Sylter. Ha wohl, da lernt sich's –«

Bremer schluckte den letzten Bissen herunter und entrann ihm. Als er über den Außendeich stieg, sprang ihm der Wind entgegen, daß er sich kaum auf der Deichkuppe halten konnte. »Welch ein Orkan!« dachte er – und glaubte im gleichen Augenblick Pastor Eschels ruhigspöttisches Lächeln zu sehen: »Orkan? Höchstens Windstärke 5–6!« Trotz der immer noch schwülen Luft schauerte Bremer vor Kälte, denn sein Gummimantel war im Laufe dieses Sommers nicht besser geworden, und zu einem neuen Paar Wasserstiefel hatte das Gehalt auch nie gereicht. Er grub die Hände tief in die Taschen und hastete weiter – nun auf den eigenen Damm hinaus.

Seit jenem Donner, der ihn bei Morgenrot aufweckte, hatte er weder Blitz noch Donner mehr gemerkt. Aber das Getöse des nun in voller Wucht ausbrechenden Windes schlug ihm auch auf die Ohren, und seine Augen waren durch den niederstürzenden Regen untauglich gemacht; wie eine graue Wand stand er ihm entgegen. Die Wolkenberge aus Westen wälzten sich regenschüttend über die dampfende See – ein Horizont war nicht zu erkennen – doch noch ein anderes kam ihm entgegen: eine Kolonne der Arbeiter mit »Hunden«, diesen kleinsten niedrigen Förderwagen ohne Seitenwände, die bis ans Dammende hin den Verkehr mit dem Festland vermittelten. Aber die Hunde waren nicht leer, wie sonst, wenn sie von draußen hereinkamen, sondern hochbepackt mit Geräten aller Art. Der Kolonnenführer trat zu Bremer:

»Herr Scholz hat angeordnet, daß wir noch retten, was irgend zu bergen ist.«

Bremer nickte nur und eilte weiter – nun traf er Wagen voll Reisig, die wohl heute früh zum Buschfelde hinausgefahren und nun von Scholz wieder zurückbeordert waren. Die Leute hatten ihre Arbeit heute früh also ordnungsgemäß begonnen und waren nur durch das Gewitter vertrieben. Diese Erwägung beruhigte ihn.

Dann traf er Scholz selbst.

»Die Sylter rieten mir, abzubauen –«, und es schien Bremer, daß immer einer die Verantwortung von sich ab und dem andern zuzuschieben trachtete.

»Wo sind die Sylter?«

»Am Dammkopf.«

»Und was schaffen Sie hier weg?«

»Nur was noch nicht festliegt natürlich –«

»Dann sollten wir wohl auch das schwimmende Material nach Möglichkeit noch aufs Vorland ziehen?«

Der Wind riß ihm das Wort fast vom Munde; heulend fuhr er über ihn hin. Heinrich Bremer kämpfte sich weiter. Je weiter er aber kam, desto mehr Leute fand er noch bei der Arbeit. Sie festigten mit Drähten, mit Sandsäcken, Buschwerk, Pfählen, was irgend noch nicht sicher erschien. Aber er schickte doch zwei Kolonnen noch hinter Scholz drein, damit sie beim Bergen des schwimmenden Materials helfen sollten.

Kurz vorm westlichen Dammende, in dem noch ungeschützten Teil des Spülfeldes, mitten im unruhigen Kabbelwasser des Flutwechsels, arbeiteten noch drei Kolonnen: die Wiedingharder, die Husumer, die Sylter. Arbeiteten so gleichmäßig, so sachlich, so unentwegt wie an jedem gewöhnlichen Werktage. Als einer der Werkführer Bremer bemerkte, kam er zu ihm herauf.

»Wir verlegen noch die zwanzig Loren Trockenklei«, berichtete er, »und decken sie provisorisch mit Buschwänden ein. Hält's dann doch nicht, schützt es vielleicht den Dammkopf.«

Bremer stieg nun auch ins Spülfeld hinunter. Das Wasser quatschte in seinen undichten Stiefeln. Nun sah er wohl, was die Leute beabsichtigten, eben den Dammkopf nach Möglichkeit noch zu schützen – wovor? Das Wasser war noch im Fallen. Was erwarteten die Sylter nach dem nächsten Gezeitenwechsel? Er mochte nicht fragen.

»Schneller! Schneller!« sagte er heiser zu dem Mann, neben dem er zufällig stand, doch der antwortete, ohne aufzusehen:

»Nur beste Arbeit kann nützen«, und knüpfte den Draht mit peinlicher Sorgfalt.

Es war Max Milian Meiners – und drüben hinterm Osterley, hinter der scharf nach Süden zurückreißenden Strömung, hinter den fast waagrecht ihm entgegenstehenden Regenschleiern lag Barthels Kuhfenne – lag der Dammteil, den er nicht mehr schützen konnte, seit die Sylter dort die Arbeit gekündigt hatten.

Bremer trat neben Rasmus Claasen, der eben die kleine Ramme einstellte, um die Pfähle, die das Buschwerk hielten, noch fester in den weichen Wattenboden zu treiben.

»Windstärke sechs?« sagte Bremer fragend, und Rasmus antwortete mit schmalen Lippen:

»Sieben!« sah auf, und da er den Baumeister erkannte, setzte er wie tröstend hinzu: »Wir arbeiten über die Mittagsschicht hinweg, so lange es noch irgend geht.«

Niedrigwasser – ja wohl, so tief stand es nun, wie es heute voraussichtlich nicht noch einmal fallen würde, und doch noch immer über halber Normalfluthöhe. Die Leute arbeiteten schweigend – ruhig und doch ohne eine Sekunde zu säumen.

Mittag – das Wasser begann wieder zu steigen. Das verbreiterte Osterley brandete schon stark gegen den vorgeschobenen Dammkopf, auf dem Bremer stand; bei Hochwasser mußte das Watt darüber hinweggehen, denn an keiner Stelle noch hatte der Damm die Höhe erreicht, die für den vollendeten Bahndamm vorgesehen war.

Zwei Stunden nach Mittag gaben die Leute ihre Arbeit auf. Die Loren waren leer; was noch zu festigen möglich war, schien nun gesichert. Der Werkführer der Husumer Gruppe kam zu Bremer:

»Wir fahren jetzt zurück, die Maschine steht unter Dampf –«

»Ich müßte sie zwingen zu bleiben«, dachte Bremer, und wußte doch, daß er keine Macht dazu hatte – wußte auch, daß Menschenhände hier nichts mehr nützen konnten. Laut sagte er: »Gut, fahren Sie nur.«

Der Werkführer sah ihn verwundert an.

»Jee, Sie müssen doch mitkommen, Herr Baumeister.«

»Ich komme zu Fuß nach – beeilen Sie sich, Ihre Leute warten –«

Unwillkürlich folgte der Mann Bremers Worten, ging eilig den andern nach – einen Augenblick schauten die drei Werkführer noch zu dem Baumeister zurück – einer zog seine Uhr –


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