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Baurat Pflüger war wieder abgereist – nicht ohne vorher noch einmal auf seine Sorgen zurückzukommen.

»Versprechen Sie mir zu sparen, wo Sie können!« sagte er noch am letzten Tage.

»Wo ich kann!« antwortete Bremer und wollte sich zu keinem weiteren Zugeständnis bequemen. »Will ich die Leute bei gutem Mut erhalten, darf ich die Prämien nicht einschränken; für Arbeiten im Wasser, für Überstunden, für gefahrvolle Flutzeiten und gefährliche Stellen im Watt. Das Vorwärtsschreiten der Spundwände hier und drüben bleibt hinter meinen Erwartungen immer etwas zurück. Als vorm Jahr die große Sturmflut kam, ja, da wußte man, wodurch alles kurz und klein geschlagen war! Da war eine Naturgewalt, die ihre Kraft ad oculos demonstrierte. In diesem Jahr aber, wo wir noch keinen einzigen Sturm wieder erlebten, wo nichts uns hindert als das zweimal tägliche Kommen und Gehen der Flut, das ewige Rinnen und Rieseln in den Wasseradern, die immer wieder sich zeigenden Verschiebungen des weichen Bodens – Herr Baurat, daran verzagt der Mensch; auch der einzelne Arbeiter, wenn er auch von seinem Standpunkt aus das Ganze nicht übersehen kann. Da braucht's von Zeit zu Zeit eine unerwartete kleine Freude, eine Anregung. Und dann: seit ich weiß, was dies Watt kann, wenn eine richtige Sturmflut darüber wegfegt, seitdem kann ich auch nirgends im Bau mehr die geringste Fehlstelle dulden. Es muß alles vom Besten sein. Der Damm muß für Jahrhunderte gebaut werden – oder gar nicht.«

»Weiß Gott, daß ich Ihnen hierin recht gebe!« rief der Baurat aus. »Und wir werden den Privatfirmen, mit denen Sie im nächsten Jahr Hand über Hand zusammenarbeiten müssen, scharf auf die Finger sehen, damit sie der Bahn für ihr teures Geld auch gute Ware liefern. Und dennoch, dennoch: sparen Sie, sparen Sie!« und brauchte die gleichen Worte, die Frau Lene Volquart Claasen immer auf den Lippen führte: »Wir müssen uns in einem ärmeren Leben einrichten. Das lernt sich schwer. Aber so nur kann Deutschland frei und ehrenhaft bleiben. Prestigefragen als Grund für große Ausgaben dürfen uns nicht mehr bestimmen.«

Und es war dies letzte Wort, das Heinrich Bremer veranlaßte, seine Ausgaben noch genauer als bisher zu durchdenken, ehe er sie tätigte. Als er den langen Husumer Zimmermann und seine Leute neulich entlohnte, hatte er die Arbeit nicht nur nach dem berechnet, was sie tatsächlich wert war, sondern hatte einen Überschuß auszahlen lassen für das, was sie für den ganzen Bau in diesem Augenblick bedeutete. Das war vielleicht unbewußt auch ein wenig »um des Prestiges willen« geschehen. Nun strich er sich derartige Gefühle, und wenn er auch fernerhin für nötig hielt, gelegentlich die Stimmung der Leute durch Extralöhne zu beleben, so begann er doch, schärfer und nüchterner noch zu rechnen.

»Werden Sie knauserig?« fragte Pastor Eschels spöttisch, aber mit leiser Sorge im Unterton, »das dürfte Ihrem Damm nicht gut bekommen.« Doch Bremer antwortete nur kurz:

»Ich hoffe, gerecht zu bleiben.«

»Das bleiben Sie! Den Willen zur Gerechtigkeit spricht Ihnen niemand ab, doch spüre ich in steigendem Maße eine gewisse Härte in Ihnen. Und auch der Wronski, der Halunke, den Sie neulich durch den Landjäger mitten aus der Arbeit herausgreifen ließen, der soll nachher noch geprahlt haben ›Ich fürcht mich nich; nich vor Gott; nich vorm Teufel – nich mal vor Herrn Baumeister!‹ Dies letzte aber glaubte ihm niemand.«

Heinrich Bremer zuckte die Achseln.

»Mein werter Herr Pastor, dies freut mich eher – Deutschland hat lange genug unterm Glassturz der eigenen Weichmütigkeit gesessen. Man hat Bismarck den Schmied des Deutschen Reiches genannt, aber er hat Deutschland schließlich doch nur politisch zusammengeschmiedet. Ich hoffe, daß die Not uns nun erst hart hämmern wird, uns, das ganze Volk. Und was ich an meinem Teil daran tun kann, das soll geschehen.«

»Vielleicht haben Sie recht –« meinte Eschels zögernd, aber Bremer unterbrach ihn:

»Mir ist's nicht ums Rechthaben. Mir ist's nur darum zu tun, daß der Damm stark und tüchtig werde, und deshalb kann ich als Mitarbeiter daran keine Menschen dulden, an denen ich irgend etwas Faules spüre. Der Wronski ist übrigens nur roh, nicht schlecht.«

Er verabschiedete sich. Pastor Eschels aber sprach hinter ihm drein: »Ihm fehlt eine Frau, Gondel, das macht ihn hart. Er fuhr während der Saison ja ein paarmal nach Westerland – mag sein, daß er wußte, was er dort wollte.«

Ja, Heinrich Bremer wußte das wohl, und mehr als einmal stand jetzt Elisabeth Eickemeyers Bild vor ihm, wie er es in der dänischen Zeitschrift gesehen hatte. Wie kam es, daß sie dort abgebildet war? Er konnte sich keinen Vers daraus machen. Wenn dies Bild ihn nicht so gefangengehalten, hätte er vielleicht bemerkt, daß die Mimi und die Mitzi niedliche Kätzchen waren, aber er beachtete sie nicht mehr als die richtigen Kätzchen, die jetzt im Baubüro zur Welt gekommen waren. Daß aber in Gondelina Eschels schließlich auch eine Frau steckte, war ihm noch nie bewußt geworden. Er hatte sie von Anfang an nicht anders denn als guten Kameraden gewertet, und seit er ihre Klappholttaler Studien gesehen, war seiner Kameradschaft ein guter Posten Hochachtung beigemischt.

Aber wenn Heinrich Bremer auch wußte, was er in Westerland gewollt hatte – der Kampf mit dem Osterley war ihm doch mehr gewesen. Ihm ging die Arbeit vor allen andern Gedanken, er baute den Damm für sich. Er dachte: »Ich kann Friedrich den Großen wohl verstehen, daß er seinen Offizieren das Heiraten verbot, solange der Krieg dauerte – wenn ich nur wüßte, wie Elisabeth in die dänische Zeitschrift kam!«


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