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Was dieser Sommer dem Damm gebracht, das hatte er auch den Sylter Bauern gegeben: eine mäßige Durchschnittsernte. War beim Dammbau die Arbeit trotz günstigen Wetters immer noch langsamer gegangen als Heinrich Bremer wünschte, so war das heitere Wetter wohl auch dem Einbringen der Feldfrüchte günstig gewesen, nur war leider nicht viel einzubringen, da der leichte Boden mehr Feuchtigkeit gebraucht hätte. Zum Erntedankfest aber kamen deshalb doch nicht weniger Morsumer in die Kirche als in andern Jahren. Ging doch der Morsumer überhaupt nicht zur Kirche, um sich dort religiöse Erbauung zu holen, sondern mehr in dem Gefühl, Gott dadurch die Ehre zu geben, und das Zeremoniell dafür stand seit Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten schon unverbrüchlich fest: zum Erntedankfest erschien aus jedem Haus der Gemeinde zumindest ein Familienmitglied.

So war die kleine Kirche heute anständig gefüllt, und außer all den bekannten Morsumer Gesichtern entdeckte Pastor Eschels in der hintersten Ecke auch noch ein fremdes. Das wunderte ihn. Auf der Insel waren wenig Sommergäste mehr – der Geologe, der jetzt noch in der »Hohen Heide« das Gastzimmer inne hatte, war es auch nicht – doch nach einem flüchtigen Erstaunen störte ihn das fremde Gesicht nicht weiter in dem, was er seinen Morsumern zu sagen hatte. Nach der Predigt leerte die Kirche sich schnell. Als Pastor Eschels aus der Sakristei trat, fand er sich mit dem Fremden allein. Nein, es war durchaus nicht der Geologe, er war größer, war schlank und hoch gebaut, trug einen Mantel, der aufschlagend ein kostbares Pelzfutter zeigte, hatte ein durchgeistigtes, stubenblasses Gesicht – vornehme, zurückhaltende Hände – er stellte sich vor: es war der Bischof aus Kiel.

»Mir war es bisher immer noch nicht möglich, einmal nach Sylt zu kommen, um Sie und Ihre Herren Amtsbrüder hier zu besuchen. Darf ich Sie heimbegleiten? Ich will hernach gleich nach Keitum und Westerland weiterfahren – meine Zeit ist leider begrenzt –«

Sie gingen zusammen die schmutzige Dorfstraße entlang. Ein feiner, kalter Regen sprühte sie an. Der Westwind ließ Eschels Talar flattern, mühte sich aber vergebens, den Herrn Bischof irgend zu irritieren. Der sprach ein paar ruhige Worte über die Landschaft, die ihn als gebürtigen Schlesier eigentümlich berührte; über die Umwandlung der Staatsbahnen in ein kaufmännisches Unternehmen, als das sie sich jetzt als »Deutsche Reichsbahn« den Blicken darstellte, und äußerte ein gemessenes Erstaunen darüber, daß der Sylter Dammbau unter diesen Verhältnissen dennoch weitergeführt würde.

In Eschels Arbeitszimmer aber, im behaglich warmen und windstillen Raum, kam er mit ganz andern Dingen zutage.

»Leider, mein Herr Pastor, muß ich mitteilen, daß Ihre Gemeinde Grund zu haben glaubt, Beschwerde über Sie zu fuhren.«

»I der Dausend«, antwortete Eschels ehrlich überrascht, »wer denn?«

»Daß ich auf diese Frage nicht Auskunft geben darf, werden Sie wohl selbst empfinden.«

Nun erst bekam Eschels einen roten Kopf.

»Verzeihung! Ich bin aber fast mit jedermann im Dorf verwandt, versippt oder verschwägert, so war es ein natürliches Gefühl, das mich zu dieser Frage trieb. Doch weshalb sich die Gemeinde über mich beschwerte, das darf ich wohl erfahren?«

Der Bischof neigte sich liebenswürdig gegen ihn.

»Glauben Sie mir, ich komme nicht deshalb nach Morsum. Ich wollte nur die Gelegenheit nutzen, da ich Sie und die andern Sylter Herren endlich aufzusuchen in der Lage bin – ich selbst messe dieser Beschwerde kein Gewicht bei. Worüber Ihre Gemeinde klagt? Daß Sie Unruhe ins Dorf trügen – und nach dieser Predigt – mein Werter, halten Sie diese Gemeinde denn für reif, Ihren Gedankengängen folgen zu können?«

Eschels trommelte ungeduldig mit seinen kurzen und derben Fingern auf der blanken Tischplatte.

»Reif sind sie eben nicht. Gescheit genug aber sind sie allemal noch, wenn sie ihren Verstand nur etwas in Bewegung setzen möchten; dazu ja rüttele ich sie: sie können denken und also sollen sie's auch!«

»Hm, dies vermag ich vielleicht nicht ganz zu beurteilen, da mir die hiesige Bevölkerung noch etwas fremd ist«, meinte der Bischof skeptisch. »Die Leute selbst aber klagen doch darüber, daß Ihnen die Gesellschaft der studierten Herren vom Bau augenscheinlich lieber wäre – es fiel das Wort ›Trinkgelage‹ –«

»Lächerlich!«

»Nicht wahr? So empfand ich's gleich, aber sie führen Tatsachen an: Sie wären mit einem Herren in Husum nachts durch die Straßen gezogen, Arm in Arm, in überaus heiterer Stimmung –« Der Bischof zog sein Notizbuch – »Sie wären auf der ›Hohen Heide‹ geblieben, nachdem Ihre eigenen Gäste schon heimgefunden hätten, nur um mit den Herren vom Bau weiterzutrinken, so daß Sie endlich der sogenannte ›Leichenwagen‹ hätte heimholen müssen –« Er machte eine kleine Pause, doch da Eschels sie nicht zu einem Einwurf nutzte, fuhr er mit leisem Räuspern fort: »Da waren noch andere Klagen. Sie sollen sich von dem Gelde, das für eine Kirchenheizung gesammelt war, einen Ofen hier ins Pastorat haben setzen lassen, ohne die Genehmigung dazu erst einzuholen –«

»Ich bin bereit, den Betrag dafür an die Kirchenkasse zurückzugeben«, schob Eschels ein.

»Sie sollen einer armen Frau einen Fünfzigdollarschein weggenommen haben – Sie sollen, obgleich Witwer, zwei junge Mädchen im Hause halten –«

Eschels konnte ein heiteres Lachen nicht unterdrücken.

»Dies ist die einzige Sünde, deren ich mich schuldig bekenne«, sagte er mit kaltem Spott und stand auf – »wenn der Herr Bischof sich einmal an dies Fenster bemühen möchten? Die Große dort im Garten ist meine Tochter und zugleich Hausfrau. Die beiden Kleineren, Jüngeren in den lustigeren Farben meine – oder vielmehr ihre Haustöchter –« Und obgleich die Mimi gerade wieder etwas sagte, darüber die Mitzi hellauf lachen mußte, bestand die kleine Gruppe so einwandfrei vor den kritischen Blicken, daß Eschels wohl zufrieden sein durfte.

»Ich muß wiederholen, daß ich dieser Beschwerde ohnehin keinen Wert beilegte«, sagte der Bischof erleichtert. »Haben Sie vielleicht sogenannte Prozeßhansel in Ihrer Gemeinde? Nein? Doch, wie dem auch sei – ich sage Ihnen all dies nur, damit Sie Bescheid wissen, nicht wahr? Und in Zukunft vielleicht – hm, ein wenig vorsichtiger in Ihrem Tun sein möchten. Ihre Bauern scheinen mir recht empfindlich. Sie halten sie nicht dafür? Glauben, daß es nur einzelne sind? Und glauben, sie besser zu kennen als ich?«

»Ich komme selbst aus altem Morsumer Bauernstamm –«

Der Bischof schwieg einen Augenblick, wandte sich und betrachtete scheinbar interessiert Eschels Bücherregale. Dann verabschiedete er sich plötzlich mit Liebenswürdigkeit.

»Wir müssen ein andermal noch eingehender darüber sprechen, Herr Pastor, jetzt erwartet mich der Wagen am Wirtshaus – nein, danke, Ihre Begleitung lehne ich durchaus ab. Ich rieche Bratendüfte, und da Ihre Frau Tochter nun heimkam –«

Der Bischof ging zur »Stadt Hamburg« hinunter, wohin er sich einen Wagen, ein einfaches Mittagessen und Holm-Peters mit seinem Anhang bestellt hatte. Er teilte ihnen in Kürze mit, daß er ihre Beschwerde als grundlos befunden hätte, und sie hörten ihn schweigend an. Da sie schwiegen, glaubte er annehmen zu dürfen, daß seine Ausführungen sie überzeugten, und fuhr befriedigt davon.


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