Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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Fünftes Palmblatt.

Ich war nun wieder angekommen, und beschloß – denn ich fühlte die Nothwendigkeit davon – der Tugend ein großes Opfer zu bringen, indem ich mir dasjenige, wornach mich so heftig verlangte und was meine Reise bis zum Wunder beschleunigt hatte, den Anblick der reitzenden Mazulipa, versagen wollte. – Desto eifriger ward an dem Tempel der Isis, und den Zubereitungen desselben zu Begehung der Mysterien gearbeitet.

Es war nicht lange möglich die schöne Mazulipa zu meiden, ohne mich der Gefahr, daß man einen geheimen Beweggrund eines so wenig natürlichen Betragens suchen würde, auszusetzen. Ihr Mann war nach der neuen Einrichtung – so wie ers auch vorher schon gewesen war – einer der Obersten des Volkes; und die junge Dame brannte vor Begierde den Unterricht zu empfangen, der sie fähig machen sollte, zu den Geheimnissen der Isis zugelassen zu werden. Wenig träumte ihr davon, daß sie Ursache haben könnte bey einer Feierlichkeit für ihre Unschuld zu zittern, wovon sie sich, nach dem was ihr davon zu sagen erlaubt war, einen Vorgeschmack der Wonne der Unsterblichen versprach.

Die Mysterien waren nun der tägliche Inhalt unsrer Unterredungen. Die Rolle, die ich dabey zu spielen hatte, war keine von den leichten. Ich mußte mich, mit einer äußerst mühsamen Gewalt über mich selbst, in Acht nehmen, ihr meine Leidenschaft zu verrathen, und von den Mysterien durft' ich ihr nicht mehr sagen, als was alle Ungeweihten wissen dürfen.

In der Verlegenheit womit ich sie unterhalten sollte, kam ich einsmahls, aus Veranlassung unsers gewöhnlichen Gegenstandes, auf die Beyspiele, die wir in den ältesten Geschichten von einer besondern Liebe gewisser Götter zu gewissen Sterblichen finden. Ich bemühte mich, ihr geläuterte und erhabene Begriffe davon zu geben: aber das war mehr als die Unvollkommenheit ihrer Sprache zuließ. Ich mußte, wenn ich ihr nur einigen Begriff von der Sache geben wollte, sinnliche Bilder dazu nehmen; und, ohne einen ausdrücklichen Vorsatz, wurde mein Gemählde, so behutsam ich auch die Farben wählte, lebhaft genug um ihre Einbildungskraft zu erhitzen. Ich brach ab so bald ich es gewahr wurde; aber die Eindrücke, mit denen ich sie verließ, arbeiteten so kräftig in der meinigen, daß ich, mit aller möglichen Mühe, gewisse sich aufdringende Bilder nicht abzuhalten vermochte.

Die furchtbare – und gewünschte Nacht der kleinen Mysterien kam nun immer näher, und die Erwartung der schönen und gefühlvollen Mazulipa schien außerordentlich gespannt zu seyn. Schon des Abends zuvor hatte sie mich durch die unerwartete Frage in Erstaunen gesetzt: ob ich glaubte, daß sie unschuldig genug sey, einem Gott liebenswürdig zu scheinen? – Denn sie hatte von mir gehört, daß die Unschuld des Herzens eine von den Eigenschaften sey, wodurch wir den Göttern wohlgefällig würden. Ich hatte den Muth, ihr mit einem ernsthaften Tone zu antworten, daß man sich außerordentliche Dinge nicht wünschen müsse; aber zu gleicher Zeit war ich schwach genug hinzu zu setzen: daß man sie auch nicht fürchten, sondern sich der Willkühr der Götter lediglich überlassen müsse. – Ich würde mir selbst Unrecht thun, meine Brüder, wenn ich sagte, daß ich mir der Absicht, welche mich so reden machte, deutlich bewußt gewesen sey; aber ich mußte doch fühlen, daß ich eine Absicht hatte, und ich getraute mir nicht sie aus meinem Busen hervor zu ziehen.

Die schwärzeste der Nächte war nun gekommen – meine eiskalte Hand zittert da ich fortfahren will – Vergebens würde ich mich bemühen, euch die Wuth des innerlichen Kampfes zu beschreiben, der sich endlich mit der Niederlage meiner Tugend endigte.

Die unschuldige und fanatische Mazulipa betrag den finstern unterirdischen Gang, durch dessen mystische Krümmungen die Inizianden wandeln müssen. Der Boden erbebte unter ihren Füßen; tausend fremde ungewöhnliche Töne drangen in ihre Ohren; tausend eben so seltsame Gestalten, von plötzlich wieder verschwindenden Blitzen sichtbar gemacht, schlüpften wie Schatten vor ihren Augen vorbey; als in einem solchen Blitze – der Gott Anubis ihr erschien, und die bethörte Unschuld, welche vor Furcht und Erwartung athemlos alles zu leiden bereit war, die Beute des sakrilegischen Betrugs wurde.

Ich würde nicht zu entschuldigen seyn, meine Brüder, wenn ich eure schon genug beleidigten Augen – durch eine umständliche Erzählung aller der Kunstgriffe, welche der betrügerische Anubis anwandte, um seine Rolle öfters und mit mehr Bequemlichkeit spielen zu können – länger verunreinigen wollte.

Es ist sehr unglücklich für mich, aber es ist doch zugleich das einzige, was mir bey der qualvollen Erinnerung an diesen häßlichen Auftritt meines Lebens einigen Trost anbeut, – daß ich mich dazu bestimmt ansehe, euch durch meine Erfahrung zu belehren: »Daß Personen unsers Standes mehr als alle andre Klassen von Menschen Ursache haben ihr Herz zu bewahren; – und daß eben darum die reinste und erhabenste Tugend von uns gefordert werde, weil wir vor allen andern Sterblichen den unseligen Vortheil haben, unsre unlautern Absichten, unsre Laster und Verbrechen selbst, unter dem ehrwürdigen Schleier der Religion den Augen der Welt zu entziehen; oder, um Alles mit Wenigem zu sagen, weil das Heiligste und Beste, was die alles regierende Vorsicht dem menschlichen Geschlecht gegeben hat, in unsern Händen zum Werkzeuge der sittlichen Verderbniß, der Unterdrückung und des allgemeinen Elendes werden kann.«

Unsere Heucheley, es ist wahr, verschont die Welt mit öffentlichem Ärgerniß, und der Bösewicht von innen erbauet öfters von außen den Schein der vollkommensten Tugend. Aber wie theuer muß die menschliche Gesellschaft diesen zufälligen und wenig bedeutenden Vortheil bezahlen! Der Heuchler schadet ihr auf eben dieselbe Weise wie ein still wirkendes Gift, dessen Zerstörungen nicht sogleich in die Sinne fallen. Er arbeitet desto sicherer, weil er im Dunkeln arbeitet; er kann ungestört seinen schändlichen Plan vollführen; und man denkt so wenig daran seinen Absichten zu widerstehen, daß man ihm vielmehr die Mittel sie auszuführen freywillig in die Hände giebt. Ungestraft mißbraucht er die unschuldigste unter allen Schwachheiten der menschlichen Natur, um die leichtgläubige Redlichkeit zum Opfer seiner Leidenschaften zu machen, indem sie sich den höhern Wesen, von denen sie das Glück oder Unglück ihres Daseyns erwarten, aufgeopfert zu haben glaubt.

»Zittert, meine Brüder, vor allem dem Bösen, das ein

Priester thun kann!

»Und o! möchte Abulfauaris unter allen seines Ordens der einzige seyn, der solche Bekenntnisse zu machen hat!«


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