Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.

Die Röcke und Mäntelchen des Priesters Abulfauaris kamen den armen Negern in der That theuer genug zu stehen.

Ihre Unschuld war das erste, was darüber verloren ging.

Sie hatten bisher nicht daran gedacht, daß etwas unedles oder unziemliches darin seyn könnte, sich selbst gleich zu sehen, und sich andern in seiner eigenen Gestalt zu zeigen. Ihre Schönen (wofern die unsrigen anders erlauben wollen, für möglich zu halten, daß es unter Negern Schönen geben könne) hatten einen weit unschuldigern Grund, warum sie alles sehen ließen, als die Perserinnen haben, alles zu verbergen, oder die christlichen Europäerinnen, ihren Busen – oder selbst etwas ähnliches, das sie der Kunst zu danken haben, – mit Spinneweben zu bedecken.

Dieser Gebrauch hatte bey ihnen noch einen andern sittlichen Nutzen, welchen Abulfauaris nothwendig hätte bemerken müssen, wenn das Vorurtheil sehen könnte. Die Gewohnheit machte nehmlich beide Geschlechter in einem gewissen Grade gleichgültig gegen einander. Der Geschlechtstrieb wurde bey ihnen schlafen gelegt, anstatt daß er bey policierten Menschen immer rege gemacht wird. Die Liebe war bey ihnen mehr das Werk des Herzens als der Sinne: aber ohne Liebe sagte die Natur einem Manne selten mehr für ein Weib als für seines gleichen.

Seit dem fatalen Geschenke des Priesters Abulfauaris veränderten sich ihre Sitten in diesem Artikel zusehens: und nachdem noch, zu allem Überfluß, die großmüthige Fürsorge des Oberaufsehers der Finanzen zu Memfis Anstalten getroffen hatte, diese Negern für ihr Gold und Elfenbein mit allen Arten Ägyptischer Manufakturen zu versehen; so verfeinerte sich in kurzer Zeit ihre Lebensart so sehr, daß Abulfauaris selbst bey seiner Wiederkunft Mühe hatte sie zu erkennen. Die schwarzen Damen eiferten in die Wette, welche sich am artigsten und glänzendsten herausputzen könne. Die neuen Reitzungen, welche sie aus den Ägyptischen Fabriken entlehnten, gaben jetzt denen, womit die Natur sie versehen hatte, einen vorher unbekannten Werth. In kurzem wurde die Sucht sich zu kleiden so weit getrieben, daß die Natur unter den Auszierungen erlag. Es wurde unmöglich zu errathen, was unter dieser seltsamen Verkleidung verborgen seyn könne. Dieses erweckte die Neugier und setzte die Einbildungskraft ins Spiel. Die Weiber wurden aus einem Gegenstande der Liebe ein Gegenstand des Vorwitzes. Mancher bildete sich ein, bey einer andern Reitzungen zu finden, die er bey der seinigen nicht fand – oder nicht achtete. Tausend kleine Kunstgriffe, deren sich die Weiber bedienen lernten, um ihre natürlichen Reitzungen zu erhöhen oder ihre Mängel unsichtbar zu machen, hintergingen das Auge oder die Einbildung, und gaben zu tausend kleinen Irrungen Anlaß, welche – desto größere Folgen hatten. Eine vorher unbekannte Verderbniß schlich sich unter Verehelichten und Ledigen ein. Die Weiber waren nicht mehr mit dem Schleier der öffentlichen Ehrbarkeit bedeckt. Sie lernten einen Unterschied zwischen Keuschheit und Sittsamkeit kennen, von dem sie vorher keinen Begriff gehabt hatten. Die Männer auf ihrer Seite fingen an sich ein Geschäft daraus zu machen, ihrer Unschuld nachzustellen; und die Schönen, wiewohl sie eine Art von Verteidigungskunst unter sich einführten, welche wenigstens dazu dienen konnte den angreifenden Theil in Athem zu erhalten, sahen doch gleich Anfangs ihrer Niederlage so gewiß entgegen, daß es unmöglich war sich durch ihre Gegenwehr abschrecken zu lassen.

Der weise Abulfauaris hatte also das Vergnügen, seine vermeinte Sittenverbesserung bey diesem Volke durchgängig eingeführt zu sehen: er fand aber zu gleicher Zeit, daß es nöthig seyn werde, nunmehr auch die Strafgesetze der Ägypter gegen allerley Laster, mit deren Benennungen wir dieses Blatt nicht besudeln wollen, unter ihnen einzuführen.

Was das sonderbarste scheinen möchte, war die süße Selbstzufriedenheit, mit welcher dieser ehrliche Priester, nachdem er glücklich mit seinem ganzen Institut zu Stande gekommen war, sich zu Memfis einen zweyten Hermes, einen Gesetzgeber und Wohlthäter der Wilden nennen ließ; voll innerlichen Triumfes darüber, daß er ihnen (wenn uns dieses Gleichniß erlaubt ist) garstige und unbekannte Krankheiten eingeimpft hatte, um das Vergnügen zu haben sie wieder davon befreyen zu können.

Man glaubt, daß ihm gleichwohl in übellaunigen Augenblicken die Weissagung des Griechischen Filosofen eingefallen sey, und daß er bey Gelegenheit derselben sich nicht habe erwehren können, zu zweifeln: »ob er nicht vielleicht besser gethan hätte, die Negern zu lassen wie er sie gefunden«. Jedoch habe er sich in diesem Fall allemahl mit einer Distinkzion beruhiget. – (Im Vorbeygehen, ein neues Beyspiel, was für ein vortreffliches Spezifikum eine gute Distinkzion ist, die Natur und die Empfindung in Fällen, die uns selbst nicht gar zu nahe angehen, zum Schweigen zu bringen) – »Wenn ihre Unschuld nur von ihrer Nacktheit abhing, (habe er gesagt) so hatte sie nichts verdienstliches; so war es bloßer Mechanismus; so verdiente sie den Nahmen der Tugend eben so wenig als die Keuschheit eines frigidi et maleficiati: – und so habe ich ein doppelt gutes Werk gethan; denn erstens hab' ich sie gelehrt, was Tugend ist; und zweytens hab' ich ihnen Gelegenheit verschafft, sie auszuüben.


 << zurück weiter >>