Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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Drittes Palmblatt.

Eben dieselbe Politik, meine Brüder, welche euch zurück hält, dem Aberglauben und den vorbesagten Mitteldingen, seinen eifrigen Verfechtern, öffentlich den Krieg anzukündigen, – hielt auch mich zurück. Ich glaubte weislich daran zu thun; aber seitdem ich die Handlungen meines Lebens in einem reinern Lichte sehe, zweifle ich sehr ob ich recht daran gethan habe.

Wer soll sich der Wahrheit annehmen, wer soll ihre unverjährlichen Rechte wieder herstellen, wenn wirs nicht wagen dürfen? wir, denen der Staat die Sorge für das, was ihm das angelegenste ist, die Bewahrung der Gesetzt und der Religion, von welcher jene ihr Ansehen und ihre Verbindlichkeit empfangen, anvertraut hat!

Welche Betrachtung, welches Interesse ist wichtig genug diese große Pflicht zu überwiegen?

Ich ermahne euch, meine sehr werthen Brüder, diese Sache nach ihrer Wichtigkeit in Überlegung zu nehmen, und euch die nagenden Vorwürfe zu ersparen, welche die letzten Stunden meines Lebens vergiften.

Doch, ich besorge sehr, das, was ich mir über diesen Artikel vorzuwerfen habe, werde in Vergleichung mit einer andern Schuld, deren ich mich selbst vor euch anklagen muß, nur eine Kleinigkeit scheinen. – Ich gestehe es, mein Stolz leidet unaussprechlich unter dem Bekenntnisse, welches ich im Begriff bin abzulegen! – Möchte dieß, große Isis, für eine Genugthuung vor dem strengen Gericht angesehen werden, vor welchem meine Seele bald erscheinen wird!

Ihr erschreckt, ehrwürdige Priester der Königin der Götter? – Ihr begreift nicht, was dieser Abulfauaris, dessen untadeliges Leben andern zum Beyspiel vorgehalten wurde, dieser Abulfauaris, der sich durch die Ausbreitung unsers Gottesdienstes und unsrer Herrschaft über eine Afrikanische Völkerschaft, welche unserm großen Sesostris selbst unbekannt geblieben war, ein beneidenswürdiges Verdienst um das Ägyptische Reich erworben hatte, – begangen haben könne, das den Glanz seines ruhmvollen Lebens verdunkeln sollte?

Ach, meine Brüder! (wenn ich anders noch würdig bin euch so zu nennen) eben dieß, was mir von der Welt, von unserm Hofe, von unserm geheiligten Orden selbst, so viel Lobsprüche und Belohnungen zuzog, eben dieß, was der Stolz meines Lebens seyn sollte, – ist das, was meine alten Wangen mit Schamröthe überzieht, und wovon ich das Andenken aus meiner Seele vertilgen zu können wünschte, – wenn das innerliche Gefühl, daß diese Strafe das wenigste ist was ich verdiene, einen solchen Wunsch nicht zu einem neuen Verbrechen machte!

Höret denn meine reuevollen Bekenntnisse; – und möge mein Beyspiel den Besten unter euch erzittern, und einen jeden behutsam machen, die geheimen Triebfedern seiner Handlungen als Feinde zu beobachten, die in seinem Busen auf seine Unschuld lauern! Ein weises Mißtrauen in uns selbst ist die sicherste Brustwehr der Tugend, sagt Hermes. Warum mußt' ich in der Sicherheit einer vierzigjährigen Tugend diesen goldenen Spruch aus den Augen verlieren!

Ich will euch von der Geschichte meiner Reise zu den Negern dasjenige nicht wiederholen, was aller Welt bekannt geworden ist. Die geheimen Umstände dieser Hauptepoche meines Lebens sind es, was meinem ganzen Betragen sein wahres Licht giebt; und nur von diesen wird hier die Rede seyn.

Ihr wisset, denke ich, meine Brüder, daß diese Negern, zu jener Zeit da ihr Unstern mich zu ihnen führte, ein freyes, unschuldiges, und in seiner Unwissenheit künstlicher Bedürfnisse glückliches Volk war.

Ihr wisset nicht minder, daß sie gegenwärtig auf Ägyptische Weise policiert, mit unsern Sitten und Lastern angesteckt, und der willkührlichen Gewalt unsrer Könige, oder vielmehr der Raubsucht und dem Übermuthe ihrer Höflinge unterworfen, und unter diesem Joche vielleicht das unglücklichste Volk unter der Sonne sind.

Und wenn nun der Geitz, der Stolz und die Üppigkeit des Priesters Abulfauaris die wahren Ursachen dieser für die armen Negern so unglücklichen Veränderung gewesen wären, – würde er nicht Ursache haben, das vermeinte Verdienst, welches ihm die ehrenvollen Nahmen eines Lehrers und Gesetzgebers dieses Volkes erworben hat, für die schwärzeste That seines Lebens zu halten?

Und gerade so, meine Freunde, verhält sich die Sache!

Der Umstand, der mich in den Stand setzte der Blöße der ehrlichen Negern zu Hülfe zu kommen, war nicht so sehr zufällig, als ich es dem Könige vorgab. Ich hatte gute Nachrichten von den Reichthümern, welche bey diesen Wilden zu hohlen wären; und, ohne den Gewinn so genau auszurechnen wie der Oberaufseher der Finanzen, wußte ich doch sehr wohl, daß ich bey der Vertauschung meiner Leinewand gegen ihren Goldstaub nichts verlieren würde.

Ich gestehe, daß ich noch an keinen förmlichen Plan dieses Volk zu policieren gedacht hatte, da ich zu ihnen kam. Die ungemeine Leutseligkeit ihrer Sitten, ihre Gutherzigkeit, und eine gewisse Lenksamkeit, die ich an ihnen wahrnahm, – kurz alle die Eigenschaften, welche dieses Volk liebenswürdig machten, und mir hätten beweisen sollen daß es unsrer Sitten nicht vonnöthen habe, – waren es, was mir den ersten Gedanken gab, wie leicht es seyn würde, die Krone von Ägypten mit diesem Kleinod zu bereichern.

Dieser Gedanke arbeitete einige Zeit in meinem Kopfe, ohne daß ich mit mir selber einig werden konnte, was ich aus ihm machen sollte.

Die Gewohnheit, ein Volk ohne Kleider, ohne Künste, ohne Polizey, für elend zu halten; das Vergnügen, welches sie über die Röcke und Mäntelchen bezeigten, womit ich sie für ihren Goldstaub beschenkte, ohne daß ich ihn für einen Ersatz meiner gemahlten Leinewand zu halten schien; die Vorstellung, wie glücklich ich sie erst durch Mittheilung der übrigen Produkte unsrer Künste machen könnte: – alles dieß wirkte auf einer Seite ziemlich stark auf meine Einbildung:

Auf der andern Seite stellte mir der gute Genius der armen Negern alles vor, was mich von dem Gedanken, ihnen ein so fatales Geschenk zu machen, abschrecken konnte: – ihre Unschuld, ihre Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die Gefahr, oder vielmehr die unvermeidliche Nothwendigkeit, ihnen mit unsern Bedürfnissen auch unsre Leidenschaften und mit beiden unsre Laster mitzutheilen, endlich die nur allzu gerechte Besorgniß, wie unglücklich sie durch den Mißbrauch der Gewalt werden könnten, deren die Ägypter, unter dem Scheine der Freundschaft, sich ohne Zweifel über sie anmaßen würden. Die Natur hat mir ein empfindsames Herz gegeben, meine Brüder; ich erschrak vor den Folgen meines ersten flüchtigen Entwurfs; und so sehr mich auf der andern Seite der Ruhm eines neuen Hermes reitzte, den ich mir an diesem Volke verdienen konnte, so glaube ich doch, daß ihr guter Genius endlich die Oberhand gewonnen haben möchte, wenn nicht eine Leidenschaft – welche gewohnt ist den Sieg davon zu tragen, wie schwer er ihr auch gemacht wird – den Ausschlag wider ihn gegeben hätte.

Ihr werdet erstaunen, – so wenig hättet ihr eine solche Schwachheit von der strengen Weisheit des Abulfauaris vermuthen können – wenn ich euch sage, daß es die Liebe, oder, richtiger zu reden, die Leidenschaft war, welcher man mit diesem schönen Nahmen das Auffallende benehmen will, das sie für jedes ehrliebende Gemüth hätte, wenn man sie mit ihrem rechten Nahmen nennte.

Ich war entweder von Natur wenig zur Zärtlichkeit geneigt, oder die priesterliche Erziehung in den Vorhöfen des Tempels hatte den Samen dieser vermeinten Schwachheit – welche in der That der Tugend günstiger ist als man gemeiniglich glaubt – in meinem Herzen erstickt. Aber den sinnlichen Trieb konnte diese Erziehung nicht ersticken; und so gut ich – Dank sey meinen Anführern in der Sittenlehre! – dieses unheilige Feuer zu verbergen wußte, so brannte es darum nicht weniger in meinem Inwendigen. Gleichwohl hatte ich mir über diesen Punkt noch keinen sonderlichen Vorwurf zu machen; und wo hätte ich wohl weniger vermuthen sollen eine Klippe zu finden, an welcher meine Tugend scheitern würde, als unter diesen Negern?


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