Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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10.

Die ganze Natur, spricht er, zeugt von der Güte und Weisheit ihres Urhebers.

Aber in der ganzen Natur überzeugt mich, – Tlantlaquakapatli, Mixquitlipikotsohoitl's Sohn, nichts vollkommner und inniger von dieser größten und besten aller Wahrheiten, als die Beobachtung der besondern Aufmerksamkeit, welche dieser unsichtbare Geist der Natur darauf gewandt hat, – den höchsten Grad des Vergnügens, dessen der Mensch fähig ist, mit denjenigen Empfindungen unauflöslich zu verbinden, welche den großen Endzweck seines Daseyns unmittelbar befördern.

Glaub' ich, am Ende einer feurigern Bestrebung meines Geistes durch die krummen Irrgänge der Einbildung, eine schon lange vor mir fliehende Wahrheit erhascht zu haben;

Oder, unterhalt' ich mich, einsam und in mich selbst gesammelt, mit dem Anschauen eines tugendhaften Karakters; – ich seh' ihn in Handlung gesetzt, in Versuchungen verwickelt, mit Schwierigkeiten umringt; – ich zittre für ihn; – und nun, in dem großen Augenblicke der Entscheidung, seh' ich ihn seiner würdig handeln, und meine schüchterne Hoffnung durch die schönste der Thaten überraschen;

Oder, mein besseres Selbst hat in diesem Augenblick einen Sieg über das unedlere erhalten; – ich habe eine eigennützige Bewegung unterdrückt, welche mich verhindern wollte etwas Gutes zu thun, da ich einen Wink dazu bekam; – oder eine übelthätige, welche mich aufwiegelte eine Beleidigung zu rächen, weil ich es, ohne Besorgniß mir selbst dadurch zu schaden, hätte thun können;

Oder, ich habe dem süßen Zug der Menschlichkeit gefolget, und mit sanfter mitleidiger Hand die Thränen des Unglücklichen abgewischt, die Freude ins bleiche Gesicht des Bekümmerten zurück gerufen:

In allen diesen, und in allen ähnlichen Fällen, fühle ich, in dem entscheidenden Augenblicke, diese göttliche Flamme sich mit einer unaussprechlichen geistigen Wollust durch mein ganzes Wesen ergießen, und den sittlichen Menschen mit dem animalischen wie in Eins zusammen schmelzen; – und ich sag' und schwöre, daß keine andre Wollust so süß, so befriedigend, und – wenn ihr mir diesen Ausdruck gestatten wollt – so vergötternd ist als diese.

Ich habe, fährt er fort, auch unter Rosen gelegen, o Montezuma! Ich habe mich auch in den Düften des Rosenstrauchs, im säuerlichsüßen Nektar des Palmbaums, und in den süßen Küssen des Mädchens berauscht. – Hab' ich nicht den Becher der Freude rein ausgetrunken, und den letzten Tropfen von meinem Nagel abgesogen? – Aber, ich behaupte dir und schwöre, daß die Wollust eine gute That zu thun – die größte aller Wollüste ist!

Sanft ruhe deine Asche, weiser und empfindungsvoller Tlantlaquakapatli! und Friede sey mit deinem Schatten, wo er auch irren mag! Wenn schon dein Nahme in keinem Gelehrtenregister prangt, und kein hohlaugiger Kommentator, in eine Wolke von Lampendampf (das Sinnbild seiner viel wissenden Dummheit) eingehüllt, polyglottische Noten mit schwerer Arbeit zu deinen Werken zusammen getragen hat; so soll dennoch – oder mein weissagender Genius müßte mich gänzlich betrügen – dein Gedächtniß noch dauern, wenn ich lange, wie du selbst, Staub bin, und von dem Menschenfreunde gesegnet werden, dessen klopfendes Herz dir die große Wahrheit beschwören hilft: daß die Wollust eine gute That zu thun die größte aller Wollüste ist.

Wenn der Urheber des Menschen (so beschließt mein Freund Tlantlaquakapatli seine Betrachtung) den Trieben, von welchen die Vermehrung unsrer Gattung die Folge ist, einen Theil dieser göttlichen Wollust, von welcher ich rede, eingesenkt hat: so kann ich nichts anders vermuthen, als daß es darum geschehen sey, weil dieses Geschäft, wiewohl an sich selbst bloß animalisch, für das menschliche Geschlecht von solcher Wichtigkeit ist, daß er es in dieser Betrachtung würdig fand, die Menschen durch dieselbe Belohnung, die er mit den edelsten Handlungen verbunden hat, dazu einzuladen.


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