Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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2.

Es ist, im Vorbeygehen zu sagen, verdrießlich, daß alle die herrlichen Dinge, welche uns Plotinus, Proklus, Agrippa, die ehrwürdige Brüderschaft vom Rosenkreuz, und der Graf von Gabalis, von einer geheimen Filosofie, welche sich die ganze Natur durch den edelsten Theil derselben, die Geister, unterwerfen könne, vorsagen, allem Ansehen nach bloße Träumereyen sind.

Ein bequemer Wagen, von einem Paar fliegender Drachen oder Einhörner gezogen, und ein Sylfe oder ein Sklave der wunderbaren Lampe zur Bedienung, wäre freylich eine vortreffliche Sache, um einen Mann in den Stand zu setzen, die Oberfläche unsers Planeten, mit allem was darauf lebet, webet und ist, so gut kennen zu lernen als seine Studierstube; mit einbedungen, daß er sich auch der Gabe der Sprachen bemächtigen müßte, ohne welche uns die Kondaminen selbst nur sehr unvollkommne Nachrichten von Menschen geben können, die sie nur im Vorbeygehen wenig besser gesehen haben, als man die schönen Schattenwerke in einem Savoyardenkasten sieht.

Wie viel würde dasjenige, was Bakon von Verulam die Schatzkammer der menschlichen Erkenntnisse nennt, dabey gewinnen, wenn ein Denker, der irgend ein verwickeltes moralisches Problem aufzulösen hätte, – anstatt auf etliche unvollständige und wenig sichre Angaben hin, oder (was beynahe eben so viel ist) auf gerathewohl zu räsonieren, oder (was nicht um den Werth einer hohlen Nuß besser ist) aus willkührlichen Erklärungen und Voraussetzungen Folgerungen zu ziehen, welche immer in Gefahr schweben, von einer einzigen neuen Wahrnehmung wie Kartenhäuschen umgeblasen zu werden, – sich nur in seinen Wagen setzen und in gerader Linie dahin fahren dürfte, wo er das Orakel der Natur selbst befragen könnte; das ist, wo er weiter nichts brauchte als die Augen aufzuthun, um zu sehen waswas ist, ohne sich die Mühe zu nehmen, die Möglichkeit dieses was, und die Bedingnisse dieser Möglichkeit, und die besonderen Bestimmungen dieser Bedingnisse – a priori ausfündig zu machen.

Ich will hier dahin gestellt seyn lassen, wie viel oder wenig Hoffnung man sich zu machen habe, daß unsre Nachkommen einen so glücklichen Zeitpunkt für die spekulativen Wissenschaften dereinst erleben werden. Gewiß ist, daß wir uns bis dahin, gern oder ungern, bequemen müssen, durch andrer Leute Augen zu gucken, wenn wir uns auf dem Erdboden umsehen wollen. Und diese Nothwendigkeit vorausgesetzt, kann man, wie es scheint, mit hinlänglichem Grunde sagen: daß der Mensch, dessen Begierden immer ins Unendliche gehen und sich an nichts Irdischem ersättigen, unter den Erdbewohnern, so wie sie nach dem ordentlichen Laufe der Natur aus der Beywohnung eines Mannes und eines Weibes entspringen, eine sehr seltene Erscheinung sey.


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