Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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24.

Der Mann war durch den Anblick der schönen Mexikanerin, in den Umständen, worin er besagter Maßen sich befand, in einen solchen Paroxysmus gesetzt worden, daß er in dieser ganzen Sache bisher bloß mechanisch und animalisch zu Werke gegangen war; worüber ihn Herr von Büffon rechtfertigen mag, wenn es ihm beliebt. Tlantlaquakapatli zuckt die Achseln und fährt in seiner Erzählung also fort:

»Durch die ganze Natur pflegt auf einen heftigen Sturm eine Stille zu folgen.

»Kikequetzel – voll Unmuth und Galle, daß sie den Mann nicht so sehr hassen konnte als sie gern gewollt hätte – bediente sich des ersten günstigen Augenblicks, sich los zu reißen.

»Der Mann fühlte vermuthlich in diesem Augenblicke, trotz dem Büffonischen System, eine sittliche Regung, welche ihm sagte, daß er einem so liebenswürdigen Geschöpfe nicht wie ein Mann, sondern wie ein Bavian begegnet sey. In dem Augenblicke, da sie ihm entfliehen wollte, warf er sich zu ihren Füßen, umfaßte ihre Knie, und bat in einer Sprache, die ihr bekannt war, so dringend und so demüthig um Vergebung, daß es – einen Stein hätte erbarmen mögen.

»Sie war entschlossen ihm nicht zu vergeben; aber vor Erstaunen, ihre Muttersprache reden zu hören, blieb sie etliche Augenblicke stehen, und betrachtete den Mann zum ersten Mahl mit Aufmerksamkeit.

»So klein dieser Fehler scheint, sagt Tlantlaquakapatli, so war es doch – der einzige, den sie in dieser ganzen Sache machte. Die folgenden machte sie von selbst, ohne daß sie etwas dazu konnte. – Es war ein sehr großer Fehler, meine lieben Landsmänninnen!«

Die Figur eines Herkules oder Gladiators ist nicht allen Schönen so gefährlich, als sie es der Gemahlin des Kaisers Markus Antoninus gewesen seyn soll: aber die schöne Faustina (wofern ihr anders durch diese Nachrede kein Unrecht geschieht) war doch gewiß auch nicht die einzige, der sie gefährlich ist; und – wenn eine solche Figur, nach einem solchen Auftritt, in keiner genauern Kleidung als eine Löwenhaut über den Rücken, und mit so ungestümen Begierden als die seinigen waren, zu euern Füßen liegt, – so ist alles was der übertriebenste Schmeichler euers Geschlechts sagen kann, daß in diesem Falle unter fünfen wenigstens Eine Faustine seyn würde.

Das Beste, meine werthen Freundinnen, ist, daß es heutiges Tages (wenigstens in den policierten Theilen von Europa) keine Herkulesse, und noch weniger so ungestüme giebt; – oder, wofern es ja unter der rohesten Menschenart einen gäbe, daß es ganz unfehlbar eure eigene Schuld wäre, wenn er sich jemahls in einer solchen Positur zu euern Füßen befände.

Aber der guten Mexikanerin Schuld war es nicht, daß sie sich in diesem Falle befand. Das arme unschuldige Ding! Sie machte die Augen werden zu. Aber es war zu spät!


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