Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2.

Ein junger Mensch – der jedoch alt genug war, um zu wissen daß man ihn Koxkox zu nennen pflegte, ehe dieses entsetzliche Schicksal sein Vaterland befiel, – hatte das Glück, der allgemeinen Zerstörung zu entrinnen, und das Unglück, allem Ansehen nach das einige menschliche Wesen zu seyn, dem dieses Glück zu Theil geworden war.

Koxkox glaubte sich zu erinnern, daß der Frühling, welcher, so bald als das Gewässer von den höher liegenden Orten abgeflossen war, wieder aufzublühen anfing, wenigstens der zehente sey, den er erlebt hätte; – ein Umstand, der zur Ehre seines Verstandes wenigstens so viel beweist, daß er drey und ein Drittel Mahl besser zählen konnte, als die armen Einwohner von Neuholland, welche es bis auf diesen Tag noch nicht weiter als bis zur Pythagoreischen Drey haben bringen können; – wenn wir so gut seyn wollen, es den Reisebeschreibern zu glauben. – Und in der That wär' es, das wenigste zu sagen, sehr unfreundlich, wenn wir Leuten, welche sich so vielen Gefahren und Beschwerden unterzogen haben, um uns andern glebae addictis – Wunderdinge nach Hause zu bringen, eine so wenig kostende Kleinigkeit, als ein Bißchen Glauben ist, versagen wollten.

In der Folge der besagten Rechnung also, mochte Koxkox, wofern er sich anders nicht überzählt hatte, – welches größern Kronologen als er begegnet ist, und noch täglich begegnet – ungefähr vierzehn bis funfzehn Jahre als seyn; vorausgesetzt, daß er sich wenigstens bis auf sein fünftes Jahr habe zurück erinnern können, welches von einem Jüngling von erträglicher Fähigkeit nicht zu viel gefordert scheint.

Man weiß nicht wie es zugegangen, daß er während der Überschwemmung und eine geraume Zeit hernach sich bey Leben erhalten konnte. Was seyn soll, muß sich schicken, sagten unsre Alten, – die mit ihren Sprichwörtern gemeiniglich mehr sagten, als manche Leute zu verstehen fähig sind. – Im Nothfall sehe ich nicht, warum wir nicht unendliche Mahl befugter seyn sollten, ihn durch ein Wunder zu retten, als die Kronikenschreiber des achten und etlicher folgender Jahrhunderte es waren, Wunder auf einander zu häufen, wo man nicht begreifen kann, wozu sie dienen sollen; – denn die Rettung eines Menschen in einem Falle wie dieser scheint doch wohl ein dignus vindice nodus zu seyn.

Wofern aber der eine oder andere von unsern Lesern kein Liebhaber dieser Art von Entwicklung – welche, genau zu reden, in der That keine Entwicklung ist – seyn sollte: so däucht uns, könnte man sich billig daran begnügen lassen, daß Koxkox, besage seiner ganzen Geschichte, da war. Denn war er da, so ist die Möglichkeit seines Daseyns außer allem Zweifel; wie jedermann zugeben wird, der seinen Aristoteles oder Baumeister nicht ganz vergessen hat.


 << zurück weiter >>