Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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9.

Und so hätten also diese großen Filosofen, welche, nach Rousseaus Meinung, die Oberaufsicht über diese Experimente haben sollten, am Ende sehr wenig dabey aufzusehen?

Es scheint nicht anders; es wäre denn, (wenn es thunlich seyn sollte), daß man diese Kinder, um das Spiel der Natur mit ihnen zu belauschen, in eine Art von Reaumürschen Bienenkorb einsperrte; welcher aber so eingerichtet seyn müßte, daß die Filosofen alles sehr genau beobachten könnten, ohne selbst wahrgenommen zu werden.

Wir getrauen uns zu behaupten, daß sich (wofern die besagten Naturforscher sich nicht etwa in Sylfen verwandeln, und aus Silbergewölken auf die Gegenstände ihrer Betrachtung herabsehen wollen) kein andres Mittel erdenken lasse, wie die Entwicklungen der Natur bey unsern Zöglingen von Tag zu Tage bemerkt werden könnten.

Es ist wahr, man kann nicht sagen, wie weit die Künste noch getrieben werden können. Man bringt in den vornehmsten Glasfabriken in Europa Dinge zu Stande, welche man vor hundert Jahren für unmöglich gehalten hätte. Bey allem dem kann es erlaubt seyn zu zweifeln, ob es jemahls möglich seyn werde, gläserne Glocken oder Bienenkörbe von so ungeheurer Größe zu machen, als wir sie zu unserm Experimente brauchen. Denn sie müssen ohne alle Vergleichung größer seyn als die große Aquavitflasche der Feen; und wir gestehen, daß es uns schlechterdings ungereimt scheint, ohne den Beystand aller Feen und Zauberer, welche jemahls in den Mährchen gezaubert haben, sich von einem solchen Stück Arbeit nur träumen zu lassen.

Welchemnach also, wie gesagt, für unsre Filosofen weiter nichts übrig bliebe, als – nach Hause zu gehen, und (falls sie wider Vermuthen nichts anders zu thun haben sollten) sich hinzusetzen, und a priori ausfündig zu machen, in was für einem Zustande sie die junge Kolonie nach zwanzig Jahren vermuthlich antreffen würden; – ein unendliches Feld, wie ihr seht, zu Spekulazionen, Hypothesen, Theorien, und Dispüten, deren Vergleichung mit der Facti Species , welche man nach Verfluß der zwanzig Jahre erheben würde, für Liebhaber etwas sehr belustigendes seyn müßte, und, wie wir nicht zweifeln, eine uralte, aber wenig geachtete Wahrheit von neuem bestätigen würde, nehmlich –

»Daß es eine eitle Bemühung des Geistes sey, durch alle die Dädalischen Irrgänge des Imaginazion, willkührlicher Begriffe und seichter Vermuthungen, etwas zu suchen, welches uns die Natur – unmittelbar vor die Nase hingelegt hat.«


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