Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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8.

Es war eine Zeit, da alle Völker des Erdbodens den Hauptzügen nach solche Foleys waren; da sie, in unzählbare kleine Horden abgesondert, von Jagd, Viehzucht und einer Art von Feldbau lebten, der, nach Beschaffenheit des Landes, engere oder weitere Grenzen hatte.

Die Erfahrung hat bewiesen, daß sich das menschliche Geschlecht nicht lange in einem solchen Zustande befinden kann. Tausend unvermeidliche Zufälle machen diese kleinen Gesellschaften nach und nach in große zusammen fließen; Zufälle, welche zu tief in der Natur des Menschen und der Dinge die ihn umgeben gewurzelt sind, als daß man zweifeln dürfte, daß, wofern durch eine abermahlige allgemeine Zerstörung alle Erdbewohner bis auf eine einzige Familie zusammen schmelzen würden, die Nachkommenschaft dieser Stifter einer neuen Welt mit der Zeit nicht eben diese Zufälle erfahren, und daß diese Zufälle nicht eben solche Veränderungen veranlassen sollten, als diejenigen, die mit den Abkömmlingen Sems, Chams und Jafets vorgegangen sind.

Ein kleines Volk von so einfältiger Lebensart und von so unschuldigen Sitten als die Foleys sind, oder die Negern des Priesters Abulfauaris vor seiner Ankunft bey ihnen waren, ist unstreitig glücklich, und (wenn wir die Vortheile, die es nicht genießt, aber auch nicht vermißt, an der ungeheuern Summe der Übel, die es nicht erleidet, die es nicht einmahl kennt, und also auch nicht fürchtet, abrechnen) glücklicher als irgend eine große Nazion in dem Stande, worin sich die Sachen dermahlen noch befinden, es seyn kann.

»Das ganze menschliche Geschlecht würde also glücklicher seyn als es jetzt ist, wenn es in lauter solche kleine Völkerschaften abgesondert wäre?« – Ja! aber diese allgemeine Glückseligkeit würde ein Augenblick seyn.

Immer mag sie also einer poetischen Fantasie Stoff zu reitzenden Gemählden von einfältig schöner Natur und Arkadischen Sitten darbieten: der Punkt kann sie nicht seyn, bey welchem wir, nach den Absichten der Natur, stehen bleiben sollen.

Eine vollkommnere Art von allgemeiner Glückseligkeit ist uns zugedacht. Noch sind zwar die Erdebewohner von diesem letzten Ziel ihrer Bestimmungen hienieden nur allzu weit entfernt; aber alle Veränderungen, welche wir bisher durchlaufen haben, haben uns demselben näher gebracht; alle Triebräder der moralischen Welt arbeiten diesem großen Zweck entgegen; und so bewundernswürdig hat der Urheber der Natur sie zusammen gestimmt, daß ihre anscheinenden Abweichungen und Unordnungen selbst im Ganzen zu Beförderungsmitteln desselben werden müssen.

Äußerste Verfeinerung der schönen Künste, des Geschmacks und der Lebensart sind zugleich eine Folge und eine Ursache der äußersten Üppigkeit und Ausgelassenheit der Sitten. Diese untergraben einen Staat so lange, bis er endlich zusammen stürzt. Aber wenn sich dieß in einem Theile des Erdbodens und in einem Zeitpunkt ereignet, wo zugleich der ganze Inbegriff der aufklärenden und nützlichen Wissenschaften und Künste mit nicht weniger Eifer angebaut worden ist: so wird der eingesunkene Staat in kurzem neu belebt und in einer ungleich besseren Gestalt und Verfassung sich aus seinen Ruinen wieder empor heben, und, durch seine Erfahrung weise, die schwere Kunst geltend machen, die Privatglückseligkeit mit der öffentlichen dauerhaft zu vereinigen. Eine Erscheinung, von welcher, aller Wahrscheinlichkeit nach, manche die dieses lesen, noch Augenzeugen werden dürften!Dieß wurde vor fünf und zwanzig Jahren geschrieben. Der Anfang zu Erfüllung dieser damahls aus einer Art von Ahnung niedergeschriebenen Worte ist seit 1789 in Frankreich gemacht worden. Gebe der Himmel, daß wir auch das glückliche Ende derselben erleben!


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