Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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5.

Man hat Ursache sich zu wundern, warum Rousseau diesen Mittelstand zwischen thierischer Wildheit und übermäßiger Verfeinerung, an welchen die Natur die Glückseligkeit der Menschen gebunden zu haben scheint, vielmehr unter den Huronen und Algonquins, als bey einem gewissen andern Volke zu finden vermeint hat, welches nur darum so wenig bekannt ist, weil es, ohne es zu scheinen, vielleicht das glücklichste unter allen ist; – einem Volke, dessen Sitten und Lebensart ein so reitzendes Gemählde von Unschuld, Ordnung, Freyheit, Ruhe und unerkünstelten Tugenden darstellen, daß wir versucht würden, die Beschreibung desselben für einen schönen Traum der Einbildungskraft zu halten, wenn ihre Zuverlässigkeit auf einem minder festen Grunde als dem Zeugnisse des Franz Moore beruhete; eines Augenzeugen, dessen gesunder Verstand und aufrichtiger Karakter keinem Zweifel in der Glaubwürdigkeit seiner Nachrichten Raum läßt.S. The Wonders of Nature and Art, Vol III. Part. 3. chap. 3. p. 360 seqq. und die allgemeine Historie der Reisen Th. 3. S. 178 u. f. Moore's Buch selbst, wovon die letztere den Auszug liefert, ist mir nicht zu Gesichte gekommen.

Dieses seinem Ursprunge nach ohne Zweifel Arabische oder Maurische Volk hat alle gute Eigenschaften, die man von den Beduinen einräumt, ohne einige Mischung von ihren Untugenden. Die Foleys (so nennt sie Moore) leben hordenweise, in einer Art von Städten, welche jedoch diesen Nahmen in Vergleichung mit den unsrigen nur sehr uneigentlich führen, da sie bloß aus einer Anzahl bequemer Hütten bestehen, welche mit gemeinsamen Umzäunungen, mehr zum Schutz gegen wilde Thiere als gegen wilde Menschen, umgeben sind. Wir würden versucht zu sagen, das natürliche Gefühl, welches sich bey keinem andern Volke unverfälschter erhalten zu haben scheint, habe sie gelehrt, was für einen lächerlichen Abstich Wohnungen, die für die Ewigkeit gebaut scheinen, gegen den vorüber gleitenden Traum des Menschenlebens machen, wenn nicht ein noch näherer Grund, warum sie keine festern Wohnungen bauen, in ihrer hirtenmäßigen Lebensart und in der Freyheit läge, worin sie sich erhalten wollen, den Ort zu verändern so bald sie Ursache dazu haben. Denn ungeachtet sie auf beiden Seiten des Stromes Gambia unter andern Völkern des Negerlandes zerstreut leben, so sind sie doch (sagt Moore) von den Königen derselben unabhängig, und brechen auf, so bald ihnen übel begegnet wird.

Sie haben ihre eigenen Vorsteher, welche ihr Amt mit großer Mäßigung verwalten, und wenig Mühe haben, ein Volk, das ohne eigentliche Gesetze, bloß durch die Güte seiner Sitten regiert wird, in Ordnung zu halten; ein Volk, das von einer so sanften und friedsamen Gemüthsart ist, und ein so angewohntes Gefühl von Recht und Billigkeit hat, daß »derjenige unter ihnen, der etwas Böses thut, allen zum Abscheu ist, und niemand findet, der sich seiner gegen die Vorsteher anzunehmen oder sich bemühen wollte, ihn der Ahndung der Gerechtigkeit zu entziehen«.

Da die eigentlichen Eingeborenen des Landes (denn diese Foleys sind Fremdlinge unter ihnen) wenig Land benutzen, so sind ihre Könige willig genug, ihnen dessen so viel einzuräumen, als sie anzubauen Lust haben. Die Foleys sind die besten Viehhirten, und zugleich die emsigsten Pflanzer in ganz Nigrizien; und da sie bey so vieler Arbeitsamkeit sehr mäßig leben, so ziehen sie viel mehr Korn und Baumwolle als sie selbst verbrauchen.

Sie leben also in einem Überfluß des Nothwendigen, und machen eben den menschenfreundlichen Gebrauch davon, der ein gemeinschaftlicher Zug der patriarchalischen und Homerischen Zeiten war. Sie unterhalten nicht nur die Alten, Gebrechlichen und Unvermögenden unter sich selbst, sondern erstrecken diese Wohlthätigkeit, so weit ihr Vermögen reicht, auch auf die Mündigoer, Jalofer und andre Völker, unter denen sie leben. Sie sind gastfrey und leutselig gegen jedermann; man braucht nur ein Mensch zu seyn und ihrer Hülfe vonnöthen zu haben, um sie zu erhalten. Können wir uns wundern, daß die Negern es für einen Segen halten, eine Pflanzstadt von Foleys in ihrer Nachbarschaft zu haben?

Bey aller dieser ausgebreiteten Menschlichkeit haben sie eine zu richtige Empfindung von ihrem eigenen Werthe, um die Mitglieder ihrer eigenen Nazion nicht vorzüglich zu lieben. Was einem Foley begegnet, interessiert Alle, und so bald einer von ihnen das Unglück hat in Sklaverey zu gerathen, so vereinigen sich alle übrigen ihn los zu kaufen.

Sie werden selten zornig, fährt Moore fort, und nie hab' ich einen Foley einem andern Scheltworte sagen gehört. Und gleichwohl rührt diese Sanftmuth von keinem Mangel an Herzhaftigkeit her; denn sie sind so tapfer als irgend ein Volk in Afrika, und wissen sich ihrer eigenen Waffen mit großer Fertigkeit zu bedienen.

Die Foleys sind ein wohl gebildetes Volk, und verdienen schön genannt zu werden, in so fern sich die Schönheit mit einer schwarzbraunen Farbe vertragen kann. Ihre Weiber sind angenehm, zärtlich und lebhaft, (sagt der P. Labat, dessen von La Rüe gezogene Nachrichten in vielen Stücken mit Moore's seinen ziemlich zusammen stimmen) sie lieben das Vergnügen, die Musik und den Tanz, und sie wissen ihre natürlichen Reitzungen durch einen Putz zu erhöhen, der, seiner (wiewohl mangelhaften) Beschreibung nach, einen Beweis giebt, daß die Grazien ihren geheimen Einfluß an der Gambia – eben so gut als ehemals am Eurotas, und noch jetzt unter den fröhlichen Einwohnern von Scio, und an den lieblichen Ufern des Hebrus verspüren lassen.

Moore rühmt vorzüglich die Reinlichkeit dieses Volkes, besonders bey den Weibern; eine unter den Afrikanern nicht sehr gemeine Tugend, die in den Augen eines Engländers eben so viel Werth hat, als die Eleganz in den Augen eines Franzosen. Ihre Pflanzstädte, von denen er uns eine Abbildung gegeben hat, haben ein regelmäßiges Ansehen, ihre Hütten stehen in gehöriger Entfernung von einander, und werden sehr sauber gehalten. Sie sind ringsum mit Baumwollenpflanzungen, und diese mit einer Verpfählung umgeben; außerhalb derselben ist auf der einen Seite ein großer Platz für ihr Vieh abgesondert, und auf der andern ein gleich großer Bezirk, den sie mit Indischem Korn anbauen; und das Ganze ist mit einer undurchdringlichen Hecke gegen die Einfälle der wilden Thiere verwahrt. Man sieht, daß hier die Kunst wenig zu thun hat; aber wer sieht nicht auch, daß sie zum Wohlstande dieser Glücklichen nichts hinzu thun könnte?


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