Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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11.

Die Empfindungen des jungen Mexikaners waren so heftig, daß er sich an einen Baum, der Schlafenden gegen über, lehnen mußte, um nicht unter ihrer Gewalt einzusinken.

Die Freude, eine Gesellschaft zu finden, von welcher er sich mehr Vergnügen und Vortheil versprach als von seinen Papagayen,

Die Anmuthung, welche ihm ihre Ähnlichkeit mit ihm einflößte,

Eine andere unbekannte Regung, die gerade aus dem Gegentheil entsprang,

Das Vergnügen an ihrem bloßen Anschauen, und die dunkle Ahnung, welche seine Brust mit noch süßern Erwartungen schwellte –

Alle diese Regungen, welche ihm so fremd und doch so natürlich, so angenehm und doch so unverständlich waren, – konnten, (wie Tlantlaquakapatli meint) wenn wir auch alles dasjenige, was die Umstände des Subjekts, der Zeit, des Ortes u. s. w. dazu beytragen mochten, abziehen, nicht weniger als die angegebene Wirkung hervorbringen.

Es ist in der menschlichen Natur, daß wir uns das wirkliche Vorhandenseyn eines Gegenstandes, den uns die Augen bekannt gemacht haben, durch einen andern Sinn zu beweisen suchen, welcher (wie alle Ammen und Kinderwärterinnen zehentausendmahl zu beobachten Gelegenheit haben) der erste ist, durch den wir unser eigenes Daseyn fühlen, und der eben dadurch zum Werkzeug wird, womit wir, von der Natur selbst dazu angewiesen, die Wirklichkeit der Fänomene, die uns umgeben, auf die Probe setzen.

Nichts war demnach natürlicher als der Zweifel, der nach einer kleinen Weile in Koxkox aufstieg, »ob das, was er sah, auch wirklich sey?«

Eben so natürlich war, daß er diesen Zweifel kaum empfand, als er sich schon der schlafenden Nymfe näherte, um sich durch den vorbesagten Sinn zu erkundigen, was er von der Sache zu glauben hätte.

Er streckte schon seine rechte Hand aus, – als ein abermahliger Schauder sein Blut aus allen Adern gegen die Brust zurück drückte; und – wie ein Pfeil, der unmittelbar am Ziele alle seine Kraft verloren hat – sank der nervenlose Arm zurück.

Er betrachtete das Mädchen von neuem: und da sich mit jedem Augenblicke seine Furcht verlor, und die Begierde, sich ihrer Körperlichkeit zu versichern, zunahm; so streckte er noch einmahl seine rechte Hand aus, bückte sich mit halbem Leib über sie hin, und legte, so sacht es ihm möglich war, die zitternde Hand auf ihre linke Hüfte.

Man müßte gar nichts von der menschlichen Natur verstehen, sagt der Mexikanische Filosof, wenn man sich einbilden wollte, daß er es bey diesem ersten Versuch habe bewenden lassen können. Die Wichtigkeit der Wahrheit, von der er sich versichern wollte, und das Vergnügen, welches mit der Untersuchung unmittelbar verbunden war, vereinigten sich mit einander, ihn zu vermögen das Experiment fortzusetzen.

Unvermerkt, und mehr durch einen mechanischen Instinkt als mit Vorsatz, schweifte die forschende Hand von dem Orte, den sie zuerst berührt hatte, zum sanft gebogenen Knie herab.

Was in diesen Augenblicken in ihm vorging, läßt sich nicht beschreiben. Die Wahrheit ist, daß er selbst unfähig gewesen wäre Rechenschaft davon zu geben. Denn (um den Leser nicht unnöthig aufzuhalten) seine Augen fingen an trüb zu werden, und vor lauter Empfindung sank er ohne Empfindung neben die schöne Kikequetzel hin, so daß die Hälfte seines Gesichts ungefähr eine Spanne und anderthalb Daumen über ihrem besagten linken Knie aufzuliegen kam.

Das Mädchen erwachte in diesem nehmlichen Augenblicke.


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