Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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25.

Tlantlaquakapatli läßt sich sehr angelegen seyn, seine erste Mutter zu rechtfertigen. Seiner Meinung nach hatte ihr Betragen in dieser ganzen Begebenheit nichts, das nicht sehr natürlich wäre. Er führt eine lange Reihe von Gründen an, wodurch er diese seine Meinung zu unterstützen vermeint. Er behauptet, die gute Dame Kikequetzel sey in diesem Falle, unvorbereitet und unbewaffnet, gerade an der Seite angefallen worden, wo die Natur ihr Geschlecht am wenigsten befestiget habe; und dieses leitet ihn auf eine ziemlich gründliche Betrachtung über »die Unvollkommenheit des Standes der rohen Natur, und über die Nothwendigkeit, das moralische Gefühl zu deutlichen Begriffen und Grundsätzen zu erheben, um den Schwachheiten und Blößen der menschlichen Natur durch die Filosofie zu Hülfe zu kommen, deren höchstes Meisterstück eine weise Gesetzgebung ist.« – Doch wir müssen unsre Erzählung fortsetzen.

Kikequetzel hatte gar keinen Begriff davon, daß Koxkox bey ihrer dermahligen Angelegenheit mit dem Manne im geringsten interessiert seyn könne; und sie war weit davon entfernt, einige schlimme Folgen davon vorher zu sehen. So bald es also der Mann dahin gebracht hatte, daß sie ihm den Schrecken vergeben konnte, den er ihr verursacht hatte, so hatte er alles gewonnen. Sie vergab ihm nicht nur, sie endigte gar damit ihn liebenswürdig zu finden.

Warum hatte sie Koxkoxen geliebt, als – weil er ein Mann war, und weil er ihrem Herzen und ihren Sinnen angenehme Empfindungen gemacht hatte? Hier war der nehmliche Fall. Der Mann bezeigte ihr so viel Liebe, daß sie undankbar zu seyn geglaubt hätte, ihm zu verbergen daß es ihr nicht unangenehm war. Ihr gutes Herz machte, daß sie ein jedes Wesen, welches ihr Vergnügen machte, als einen Wohlthäter betrachtete; und, diesem Grundsatz zur Folge, hatte der Mann in der That Ansprüche an ihre Erkenntlichkeit.

Es ist leicht zu sehen, daß sie hierin einen gedoppelten theoretischen Fehler beging: – einmahl darin, daß sie dem sinnlichen Vergnügen einen allzu hohen Werth beylegte; und dann, daß sie auf Seiten des Mannes für Liebe hielt, was bloßer animalischer Trieb war, und ihm für das Gute verbunden zu seyn glaubte das er sich selbst that. Unser Autor entschuldigt seine Stammmutter mit einer Unwissenheit, welche in ihren Umständen ihre Schuld wirklich sehr vermindert. Aber wenn unter den policiertesten Nazionen, und bey allen Vortheilen der Erziehung und der Verfeinerung, unter zwanzig Personen ihres Geschlechts auch nur Eine wäre, welche eben so falsche Schlüsse machte, womit sollten wir sie entschuldigen können?

Der Mann und die Schöne machten einander nunmehr eine kurze Erzählung ihrer Geschichte und Umstände; und da diese eben so wenig Lust zu haben schien jenen zurück zu lassen, als er Lust hatte sich von ihr zu entfernen, so wurde beschlossen, daß er sie in ihre Hütte begleiten sollte.

Sie langten also mit einander bey dem guten Koxkox an, welcher über den Anblick eines Dritten verwundert war, ohne den geringsten Verdruß darüber zu empfinden. Mit Vergnügen theilte er seinen Vorrath mit ihm; Kikequetzel versah das Amt eines Dolmetschers; und da der Fremde viel Vergnügen darüber bezeigte, in einem Lande, wo er der einzige Mensch zu seyn geglaubt hatte, Geschöpfe seiner Gattung anzutreffen, so brachten sie etliche Tage sehr vergnügt mit einander zu. Der ehrliche Koxkox, der allen Wesen gut war die ihm nichts Übels thaten, hatte eine so große Freude über seinen neuen Freund, daß er, ohne Ausnahme, bereit war, was er hatte mit ihm zu theilen; und die schöne Kikequetzel schien sich hierin ohne Mühe nach seiner Denkungsart zu bequemen.


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