Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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11.

Und nun, wenn wir, mit Überwindung so vieler unübersteiglich scheinender Schwierigkeiten, das ganze Projekt zu Stande gebracht hätten, und, nach Verfluß von zwanzig oder dreyßig Jahren, die Dalambert und Büffon derselben Zeit gingen, zu sehen wie die Sachen unsrer Experimental-Kolonien ständen, um dem menschlichen Geschlecht über den Befund Bericht zu erstatten – was meinen wir daß sie finden würden?

Ferguson hat, wie es scheint, ein solches Experiment im Gesichte gehabt, da er sagte: »Wir haben alle Ursache, zu glauben, daß, wenn man eine Kolonie von Kindern aus der Ammenstube verpflanzte, und sie eine ganz eigene Gesellschaft ausmachen ließe, ohne Unterricht und ohne Erziehung, – daß wir, sage ich, nichts als dieselben Dinge wiederholt finden würden, die wir schon in so verschiedenen Theilen des Erdbodens gefunden haben; u. s. w. –«

Ja wohl, haben wir alle Ursache das zu glauben; und eben so viele Ursache würden wir haben uns zu verwundern, wenn unsre Leser nicht schon lange gemerkt haben sollten, daß das große Problem, womit uns Rousseau so viel zu schaffen gemacht hat, weder mehr noch weniger ist, als

»zu wissen, was für Erfahrungen man anzustellen hätte, um mit überzeugender Gewißheit entscheiden zu können, ob der Schnee weiß oder schwarz sey?«

Im ganzen Ernst, es wäre sehr unnöthig, dem größten oder kleinsten Monarchen in Europa die geringste Mühe mit Experimenten zu machen, welche uns wahrlich wenig neues lehren würden. Das große Experiment wird auf diesem ganzen Erdenrunde schon viele tausend Jahre lange gemacht; und die Natur selbst hat sich die Mühe genommen, es zu dirigieren, so daß den Aristotelessen und Pliniussen aller Zeiten nichts übrig gelassen ist, als die Augen aufzuthun, und zu sehen wie die Natur von jeher gewirkt hat, und noch wirkt, und ohne Zweifel künftig wirken wird, – und, wenn sie lange und scharf genug geguckt und das Ganze aus dem gehörigen Standpunkte aufmerksam genug übersehen haben, – zu gehen, und ihre Theorien, Kompilazionen, Systeme, Entwürfe, Inbegriffe, und wie die Dinge alle heißen, zu verbrennen, oder umzugießen, oder auszubessern, oder zu ergänzen, so gut sie immer können und wissen, – und weiter nichts!

Nein, lieber Rousseau! So arme Wichte wir immer seyn mögen, so sind wir es doch nicht in einem so ungeheuern Grade, daß wir nach den Erfahrungen so vieler Jahrhunderte noch vonnöthen haben sollten, neue unerhörte Experimente zu machen, um zu erfahren – was die Natur mit uns vorhabe.

Und wofern sich auch alle Könige und alle Filosofen des Erbodens vereinigten solche Experimente zu machen: was für Ursache haben wir zu hoffen, daß wir etwas andres oder besseres daraus lernen würden, als was uns die allgemeine Erfahrung, mit der unwidersprechlichsten Evidenz, aus allen Enden der Erde, von einem Pole zum andern, aus dem ewigen Schnee der Kamtschadalen, und aus dem glühenden Sande von Nigrizien zuruft: –

»Daß der Mensch zur Geselligkeit gemacht sey;« –

und »daß die vereinigten Kräfte der Barbarey, des Aberglaubens, und der Unterdrückung, immer unvermögend geblieben, diesen kostbaren Samen jeder gesellschaftlichen Tugend gänzlich zu vertilgen;« »dieses sympathetische Gefühl, welches den Menschen mit einer süßen Gewalt nöthiget, sich selbst in andern Menschen zu lieben, und welches, wie Cicero göttlich spricht, die Grundlage alles Rechts ist.«


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