Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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8.

Dem sey wie ihm wolle, Abulfauaris stand zu Memfis in dem Ruhme eines sehr weisen Mannes, und der König Psammuthis erkannte sich ihm sehr dafür verbunden, daß er den Schwarzen eine Moral beygebracht hatte, die den Ägyptischen Manufakturen so vortheilhaft war.

Die alten Leute unter den Negern dachten anders von der Sache. Sie verwünschten sein Andenken, weil sie glaubten daß seine Moral den Sitten und der Glückseligkeit ihres Volkes verderblich gewesen sey.

»Sollten nicht beide Theile Recht gehabt haben? Psammuthis beurtheilte die Güte dieser Moral nach dem Nutzen, welchen sein Volk von ihr zog; die Negern beurtheilten sie nach dem Schaden, den sie dem ihrigen gethan hatte. Konnten beide Theile anders denken?«

Ja wohl! – Sie hätten nur denken dürfen wie Abulfauaris, der einen ganz andern Maßstab des Guten und Bösen hatte, und den Nutzen oder Schaden seiner Moral für bloße Zufälligkeiten ansah, welche, von dem erhabenen Standorte, auf den er sich in seiner Einbildung stellte, betrachtet, so klein und unbedeutend wurden, daß ein Mann wie er sich nicht die Mühe nahm, sie in Betrachtung zu ziehen.

»Und Abulfauaris hatte auch Recht?« –

Warum nicht? Er dachte wie ein Priester, Psammuthis wie ein König, und die alten Negern, wie ein alter Neger denken soll.

Seine Absicht war gut, sagten seine Freunde.

Kann die gute Absicht eine unweise Handlung rechtfertigen? fragten seine Tadler.

Wir haben keine Lust, ihren Streit zu entscheiden.

Seine Freunde rechtfertigten ihn, nicht weil er Recht hatte, sondern – weil sie seine Freunde waren.

Seine Tadler machten ihm Vorwürfe, nicht weil er Unrecht hatte, sondern – weil sie ihn tadeln wollten.

Und wir – aus was für einem Grunde könnten wir uns das Richteramt zwischen ihnen anmaßen?

Oder, gesetzt auch, wir könnten es aus irgend einem Grunde; welcher Partey sollten wir den Sieg zusprechen?

Macht die Absicht eine Handlung gut: – gütiger Himmel! welche Übelthat könnte nicht auf diese Weise gerechtfertiget werden!

Behaupten wir das Gegentheil: – welch ein strenges Urtheil sprechen wir dann, wissend oder unwissend, über das ganze Geschlecht der Kinder Adams! Wer wird bestehen können?

Ich gestehe, daß ich mich hier in der nehmlichen Verlegenheit befinde, in welche der Sultan Schach-Baham bey eine Problem von einer andern Art gerieth, und daß ich mir eben so wenig zu helfen weiß: – »Jamais question plus difficile à decider ne s'étoit offerte à mon esprit, et je la laisse à resoudre à qui pourra.«


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