Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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4.

Indessen erinnerte er sich doch ganz lebhaft, daß er in seinem vorigen Zustande unter andern Kindern gewesen war, daß sie mit einander gespielt hatten, und daß unter diesen Spielen ein Tag nach dem andern wie ein Augenblick vorbey geschlüpft war. Er merkte, daß ihm jetzt die Tage länger vorkamen; öfters so lange, daß es nicht auszustehen gewesen wäre, wenn er sich nicht damit geholfen hätte, sich in irgend ein dickes Gebüsche hinzulegen, und den ganzen langen Tag so gut hinweg zu schlafen, als ob es nur eine einzelne Stunde gewesen wäre. Lebhafte Träume versetzten ihn dann in die Tage seiner Kindheit; er jagte sich mit seinen Gespielen durch Gebüsche herum, sie plätscherten mit einander in kühlen Bächen, oder kletterten an jungen Palmbäumen hinauf. Keichend erwachte er darüber, und wurde nun so traurig über seine Einsamkeit, daß er sich wieder hinlegte zu träumen. Aber weder Schlaf noch Traum war so gefällig wieder zu kommen. In dem schwermüthigen staunenden Zustande, worein ihn diese Lage setzte, blieb ihm nichts anders übrig, als mit sich selbst zu reden, – welches sich gemeiniglich damit endigte, daß er unwillig darüber wurde, keine Antwort zu bekommen, – oder mit etlichen Papagayen zu spielen, aus welchen er sich, in Ermanglung einer bessern, eine Art von Gesellschaft gemacht hatte.

Die Papagayen hatte die schönsten Federn von der Welt, – aber eine so dumme, gleichgültige, gedankenlose Miene, so wenig Fähigkeit zu ergetzen oder sich ergetzen zu lassen, daß sogar Koxkox bey aller seiner eigenen Einfalt verlegen war, was er mit ihnen anfangen sollte.

Ein einziger aschgrauer, den er Anfangs wegen seiner unscheinbaren Gestalt wenig geachtet hatte, entdeckte ihm endlich ein Talent, welches ihm eine Art von Zeitvertreib gab, ohne daß er sogleich merkte, wie viel Vortheil er davon ziehen könnte. Der graue Papagay gab allerley Töne von sich, welche einige Ähnlichkeit mit gewissen Worten hatten, die er aus den Selbstgesprächen des Koxkox aufgefangen haben mochte. Koxkox merkte dieß kaum, so machte er sich schon ein sehr angelegenes Geschäft daraus, der Sprachmeister seines Papagayen zu werden; welcher bey seiner Lernbegierde und Fähigkeit, die ganze Kunst seines Lehrers ziemlich bald erschöpfte.

Unvermerkt sprach der Papagay so gut Mexikanisch als Koxkox selbst. Wahr ists, ein strenger Dialektiker würde oft sehr viel gegen seine Wortverbindungen einzuwenden gehabt haben. Hingegen gelangen ihm auch nicht selten die witzigsten Einfälle; und wenn er zuweilen baren Unsinn sagte, so kam es bloß daher, weil er keine Begriffe, sondern bloße Wörter zusammen stellte; – ein Zufall, wovon, wie man glaubt, die weisesten Männer, ja sogar ganze ehrwürdige Versammlungen von weisen Männern, nicht allezeit frey gewesen sind.

Koxkox und sein Papagay waren nunmehr im Stande Gespräche mit einander zu führen, die zum wenigsten so witzig und interessant waren, als es die Unterhaltung in den meisten heutigen Gesellschaften ist, wo derjenige sehr wenig Lebensart verrathen würde, welcher mehr Zusammenhang und Sinn darein bringen wollte, als in der Unterhaltung mit einem Papagay ordentlicher Weise zu herrschen pflegt.

Tlantlaquakapatli, ein angesehener mexikanischer Filosof, trägt kein Bedenken, den Anfang des gesellschaftlichen Lebens unter seiner Nazion von dieser Vertraulichkeit Koxkoxens mit seinem Papagay abzuleiten.

Die Dichter des Landes gingen noch weiter. Sie versicherten, – mit einer Freyheit, deren sich diese Zunft bey allen Völkern des Erdbodens zu allen Zeiten mit sehr wenig Mäßigung bedient hat, – »daß irgend eine mitleidige Gottheit sich den Zustand des einsamen Koxkox zu Herzen gehen lassen, und den oft besagten Papagay in das schönste Mädchen, das jemahls von der Sonne beschienen worden sey, verwandelt habe.« Und damit die Weiber (sagen sie) ein immer währendes Merkmahl ihres Ursprungs an sich trügen, habe dieser Gott dem neuen Mädchen und allen seinen Töchtern die Schwatzhaftigkeit gelassen, welche ihm in seinem Papagayenstand eigen gewesen.

Wenn man (sagt der vorbenannte Filosof) dieses Mährchen behandelt, wie alle Mährchen, welche von Anbeginn der Welt bis auf diesen Tag in Prosa, oder in Versen, oder in beiden zugleich erzählt worden sind, ohne Ausnahme behandelt werden sollten, – d. i. wenn man (durch eine so leichte Operazion, daß eine jede Amme Verstand genug dazu hat) das Wunderbare darin vom Natürlichen scheidet; so wird man finden: »daß gerade so viel Wahres daran ist, als am Boden sitzen bleibt, nachdem das Wunderbare in Rauch aufgegangen ist.« Nemlich – –


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