Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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Viertes Palmblatt.

Ich befand mich damahls noch in dem Alter, worin die Flamme, von der ich eben gesprochen habe, zumahl wenn sie durch Mäßigkeit unterhalten worden ist, bey einem starken Temperament von ihrer Gewalt noch wenig verloren hat.

Der Eindruck, der so viele schöne Gestalten – denn das waren die meisten – ihrer Farbe ungeachtet auf meine Sinne machten, setzte meine Einbildungskraft in die Stimmung, worin sie seyn muß, um von einem besondern Gegenstande lebhaft gerührt zu werden. In einer solchen Stimmung erblickte ich die schöne Mazulipa, die Frau eines Mannes, der in vorzüglichem Ansehen unter diesen Schwarzen stand; und der erste Anblick wirkte stark genug, daß ich in weniger als vier und zwanzig Stunden so gänzlich vergiftet war, als ob die Syrische Göttin beschlossen hätte, mich zu einem Beyspiel der furchtbarsten Ausbrüche ihres Zornes zu machen.

Ich könnte euch keine Schilderung von dieser schuldlosen Verführerin machen, – denn sie hatte wohl gewiß keinen Gedanken mich zu verführen – ohne eure Einbildungskraft in Gefahr zu setzen. Die meinige – ich gestehe euch meine ganze Schwachheit – stellt mir noch in diesem Augenblick ein so warmes Gemählde von diesem reitzenden Weibe vor, daß ich, wider meinen Willen, unfähig bin, an ihren Genuß ohne Entzücken zu denken.

Ich war kein Neuling, der sich selbst über den Zustand seines Herzens hätte betrügen können; ich wußte im ersten Augenblicke so gut wohin diese Leidenschaft zielte, und dachte so wenig daran mich über ihre Absichten zu betrügen, daß ich vielmehr, von besagtem Augenblick an, keine Macht hatte auf etwas andres zu denken, als auf Erfindung eines schicklichen Mittels sie ohne Gefahr meines Karakters befriedigen zu können.

Und in eben diesem Augenblicke war es auf einmahl beschlossen: daß die Negern policiert werden sollten.

In der ersten schlaflosen Nacht war mein Plan fertig. Unsre Polizey ist auf unsre Religion gebaut; und so sollte es auch bey meinen Negern seyn. Nichts war mir jetzt leichter, als auf alle die Einwürfe zu antworten, welche mir der gute Dämon dieser Unglücklichen gegen mein Vorhaben gemacht hatte. – »Es war, zum Beyspiel, keine nothwendige Folge, daß sie mit unsern Sitten auch unsre Laster annehmen mußten. Man konnte dieser Gefahr durch verschiedene Mittel zuvorkommen; und wenn alle andre fehlen sollten, waren nicht die Mysterien der Isis ein unfehlbares Gegengift gegen alle sittliche Verderbniß? das stärkste Beförderungsmittel der Tugend und eines untadelhaften Lebens?«

Die Mysterien! – Diese Vorstellung fiel stark auf mein Gemüth. Werdet ihr glauben können, meine Brüder, daß der Gedanke an diese Geheimnisse – an welche keine Seele, die des Anschauens des geheiligten Sinnbildes der göttlichen Natur gewürdiget worden ist, ohne Schaudern denken soll – meiner durch die Wuth der Leidenschaft begeisterten Fantasie den Stoff und dem schändlichsten Entwurfe darbot, der jemahls den Busen eines Menschen besudelt hat?

Aber denket nicht, daß ich, wie elend auch in diesen Augenblicken der Zustand meines Gehirnes war, fähig gewesen sey, eine so schreckliche Entheiligung des Ehrwürdigsten, was unsre Religion hat, nur einen Augenblick ohne den lebhaftesten Abscheu zu denken! Nein, meine Brüder! Mit Entsetzen vor mir selbst verwarf ich die scheußliche Eingebung des unreinen Dämons, und faßte so heldenmüthige Entschließungen, daß ich Ursache zu haben glaubte, einen vollständigen Sieg über ihn davon getragen zu haben.

Aber, ach! wer kennt, eh' ihn seine eigene Erfahrung belehrt hat, alle die geheimen Winkel des Herzens, in deren sichern Hinterhalte die versteckte Leidenschaft, indessen wir von Triumfen träumen, auf Gelegenheiten lauert, uns ungewarnt und unbewaffnet mit verdoppelter Wuth zu überfallen?

Sicher auf die Stärke meiner Entschlossenheit, glaubte ich nun ohne das mindeste Bedenken an dem großen Entwurfe der Umgestaltung meiner Negern arbeiten zu können. Die Leichtigkeit, womit sie über ihre Nacktheit zu erröthen gelernt hatten, überredete mich, daß ich eben so wenig Schwierigkeiten finden würde, sie auch in den übrigen Stücken nach meinem Plan umzubilden.

Ich machte den Anfang mit dem Unterricht in unserer Religion. – Warum that ich das? – Weil ich mir dadurch den Weg bahnte, die Mysterien bey ihnen einzuführen; meine Lieblings-Idee, welche ich, nach meinem Sinne, nicht bald genug ins Werk setzen konnte. – Und woher dieser ungeduldige Eifer, da ich doch so fest entschlossen war, keinen Mißbrauch zum Vortheil meiner Leidenschaft davon zu machen? – Was soll ich euch sagen? Ich hatte das Beyspiel des dreymahl großen Hermes vor mir; und ich glaubte die Unschuld meiner Negern, wofern sie ja von der Ansteckung unsrer Sitten etwas zu besorgen hätte, durch die Iniziazion am besten zu bewahren.

Der geheime Beweggrund, der den übrigen seine ganze Stärke mittheilte, lag tief in meinem Busen; aber ich unterschied ihn nicht – oder wollte ihn nicht sehen.

Ich war inzwischen nach Ägypten zurückgegangen, um dem Könige von meiner Unternehmung Nachricht zu geben, und den Plan, nach welchem ich arbeiten wollte um dem Reiche die Vortheile derselben zuzuwenden, mit ihm abzureden. Das Bild der wollustathmenden Mazulipa hatte mich dahin begleitet; es stand allenthalben vor mir; es beunruhigte – darf ich es sagen? es beglückte zuweilen meine Träume. Meine Leidenschaft stieg auf einen Grad, der alle meine Entschlossenheit wankend machte. Aber der gute Vorsatz, dieses betrügliche Einschläferungsmittel, behielt allezeit den Sieg.

Und doch wünscht' ich mir Flügel, um desto schneller zu den Negern zurückkehren zu können. – Mazulipa war unter ihnen!

Ich Unglücklicher! Ihr glaubtet, daß es ein heiliger Eifer sey, der mich so ungeduldig mache zu meinem erhabenen Geschäft zurückzukehren – und ich ließ euch in euerm Irrthum!


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