Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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7.

Sich hinsetzen und aussinnen, wie dem jungen Mexikaner, in dem Augenblicke, worin wir ihn zu Anfang des vorher gehenden Kapitels verlassen haben, zu Muthe gewesen seyn müsse, ist wahrlich keine so leichte Sache, als sich diejenigen vielleicht einbilden, die es nicht versucht haben.

Es ist noch lange nicht damit ausgerichtet, daß man sich etwa frage: Wie würde mir an einem solchen Platze gewesen seyn? – Nichts betrügt mehr als diese Operazion; ob wir gleich gestehen müssen, daß sie, mit gehöriger Vorsichtigkeit und zu rechter Zeit gemacht, allen Arten von Dichtern und Schauspielern – auf allen Arten von Schaubühnen gute Dienste thun kann.

Hundert verschiedene Personen würden an Koxkoxens Platze auf hunderterley verschiedene Weise empfunden und gehandelt haben. Zum Beyspiel:

Ein Mahler würde mit dem kältesten Blut einen haarscharfen Umriß von der schlafenden Mexikanerin genommen haben.

Ein inquisitiver Reisender hätte die ganze Scene in sein Tagebuch abgezeichnet, – wenn er hätte zeichnen können; wo nicht, so hätte er wenigstens eine so genaue Beschreibung davon gemacht, als ihm seine Eilfertigkeit verstattet hätte.

Ein Alterthumsforscher würde alle alte Dichter und Prosaschreiber, Münzen, Aufschriften und geschnittene Steine in seinem Kopfe gemustert haben, um etwas darunter zu suchen, wodurch er diese Begebenheit erläutern könne.

Ein Poet hätte sich gegen über gesetzt, und indessen, bis sie erwacht wäre, ein Liedchen, oder wenigstens ein kleines Madrigal gedichtet.

Ein Platonischer Filosof hätte untersucht, wie viel ihr noch fehle, um dem Ideal eines schlafenden Mädchens gleich zu kommen?

Ein Pythagoräer, – was ihre Seele in diesem Augenblicke für Visionen habe?

Ein Hedoniker, – ob und wie es thunlich seyn möchte, ihren Schlummer durch eine angenehme Überraschung zu unterbrechen?

Ein Faun würde bey der Ausführung angefangen haben, ohne zu untersuchen.

Ein Stoiker hätte sich selbst bewiesen, daß er keine Begierden habe, weil – der Weise keine Begierden hat.

Ein ächter Epikuräer hätt' es, nach einer kurzen Überlegung, nicht der Mühe werth gefunden, die Sache in längere Überlegung zu nehmen.

Ein Skeptiker hätte die Gründe für so lange gegen die Gründe gegen abgewogen, bis sie erwacht wäre.

Ein Sklavenhändler hätte sie taxiert, und, nach Berechnung der Unkosten und des Profits, auf Mittel gedacht sie sicher nach Jamaika zu bringen.

Ein Missionar hätte sich in die Verfassung gesetzt, sie, so bald sie erwachen würde, auf der Stelle zu bekehren.

Robert von Arbrissel würde sich so nahe als möglich zu ihr hingelegt und sie so lange unverwandt betrachtet haben, bis er, dem Satan zu Trotz, gefühlt hätte, daß sie ihm nicht mehr Emozion mache als ein Flaschenkürbiß.

Sankt Hilarion wäre seines Weges fortgegangen und hätte sie gar nicht angesehen.

Und so weiter – – –

Aber Koxkox – was Koxkox empfand und dachte, das verdient ein besonderes Kapitel.


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