Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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16.

Wenn uns nicht alles betrügt, so ist das, was wir unsern Lesern in den beiden vorher gehenden Kapiteln zu lesen gegeben haben, pure Natur. So viel ist gewiß, die KunstDas Wort Kunst wird in diesem und dem folgenden Kapitel in der weitläufigsten Bedeutung, in so fern es gewöhnlich der Natur entgegen gestellt wird, genommen. hatte keinen Antheil weder an den Gefühlen dieser Alt-Mexikanischen Liebenden, noch an der Art, wie sie sich ausdrückten.

Und nun fragt sich: – »Verliert oder gewinnt die Natur dadurch, wenn sie des Beystands und der Auszierung der Kunst entbehrt?«

Eine verwickelte Frage! Ein wahrer Gordischer Knoten, den wir, nach dem Beyspiele der raschen Leute die mit allem gern bald fertig sind, geradezu zerschneiden könnten, wenn wir nicht für besser hielten, vorher zu versuchen, ob er nicht mit Hülfe einer leichten Hand und mit ein wenig Flegma aufzulösen sey.

Es giebt eine Kunst, welche die Werke der Natur wirklich verschönert; und eine andere, welche sie, unter dem Vorwande der Verbesserung oder Ausschmückung, verunstaltet.

Wiewohl nun die erste allein des Nahmens der Kunst würdig ist, so wird sie ihn doch so lange mit ihrer Bastardschwester theilen müssen, bis man für diese einen eigenen Nahmen erfunden haben wird.

Einige bestimmen das Verhältniß der Kunst gegen die Natur nach dem Verhältniß eines Kammermädchens gegen ihre Dame; andere nach demjenigen, welches der Schneider, der Friseur, der Brodeur, und der Parfümeur – vier wichtige Erzämter! – gegen ein gewisses Geschöpf haben, welches, je nachdem man einige Veränderungen damit vornimmt, unter den Händen der vorbesagten vier plastischen Naturen und nach ihrem Belieben, ein Markis oder Lord, ein Abbé oder ein Chevalier, ein Parlamentsrath oder ein Held, ein Witzling oder ein Adonis wird; im Grund aber, in allen diesen verschiedenen Einbildungen und Posituren – immer das nehmlichste Ding bleibt, nehmlich ein Geck.

Nach dem Begriff der ersten, ist die Natur der Homerischen Venus gleich, welche von den Grazien gebadet, gekämmt, aufgeflochten, mit Ambrosia gesalbt, und auf eine Art angekleidet wird, wodurch ihre eigenthümliche Schönheit einen neuen Glanz erhält.

Nach dem Begriff der andern, ist die Kunst eine Alcina, die einen ungestalten, kahlen, triefäugigen, zahnlosen Unhold zu jener vollkommenen Schönheit umschafft, welche Ariost in sechs unverbesserlichen Stanzen – zwar nicht so gut gemahlt hat, als es Tizian mit Farben hätte thun können, aber doch so gut beschrieben hat, als – man beschreiben kann.Orlando Furioso, VII. 6-12

Die ersten scheinen der Kunst zu wenig einzuräumen, die andern zu viel; beide aber sich zu irren, wenn sie von Natur und Kunst als wesentlich verschiedenen und ganz ungleichartigen Dingen reden: da doch bei näherer Untersuchung der Sache, sich zu ergeben scheint, »daß dasjenige, was wir Kunst nennen,

»Es sey nun, daß sie die zerstreuten Schätze und Schönheiten der Natur in einen engern Raum, oder unter einen besondern Augenpunkt, zu irgend einem besondern Zweck zusammen ordnet, –

»Oder, daß sie den rohen Stoff der Natur ausarbeitet, und was diese gleichsam ohne Form gelassen hat, bildet, –

»Oder daß sie die Anlagen der Natur anbaut, den Keim ihrer verborgenen Kräfte und Tugenden entwickelt, und dasjenige schleift, poliert, zeitiget oder vollendet, was die Natur roh, wild, unreif und mangelhaft hervor gebracht hat« –

daß, sage ich, die Kunst in allen diesen Fällen im Grunde nichts anders ist, als die Natur selbst; in so ferne sie den Menschen – entweder durch die Noth, oder den Reitz des Vergnügens, oder die Liebe zum Schönen – veranlaßt und antreibt, »entweder ihre Werke nach seinen besondern Absichten umzuschaffen, oder sie durch Versetzung in einen andern Boden, durch besondere Wartung und befördernde Mittel, zu einer Vollkommenheit zu bringen, wovon zwar die Anlage in ihnen schlummert, die Entwicklung aber dem Witz und Fleiß des Menschen überlassen ist.«

Fragen wir:

Wer giebt uns die Fähigkeit zur Kunst?

Wer befördert die Entwicklung dieser Fähigkeit?

Wer giebt uns den Stoff zur Kunst?

Wer die Modelle?

Wer die Regeln? –

so können kühnlich alle Filosofen, Misosofen und Morosofen, welche jemahls über Natur und Kunst vernunftetAuch dieses ungewohnten Ohren possierlich genug klingende Wort, wiewohl von zwey verdienstvollen Männern der eine es erfunden, und der andere empfohlen hat, ist vielleicht nur bey solchen Gelegenheiten wie hier brauchbar, und dürfte wohl schwerlich die Stelle des fremden aber bisher unentbehrlichen Wortes räsonieren im ernsthaften Styl schicklich einnehmen können. oder vernünftelt haben, auffordern, uns jemand andern zu nennen, als die Natur, – welche durch den Menschen, als ihr vollkommenstes Werkzeug, dasjenige, was sie gleichsam nur flüchtig entworfen und angefangen hatte, unter einem andern Nahmen zur Vollkommenheit bringt.

Die natürlichen Dinge in dieser sublunarischen Welt – denn auf diese schränken wir uns ein, weil sie unter allen möglichen Welten am Ende doch die einzige ist, von der wir mit Hülfe unsrer sieben Sinne (das Selbstbewußtseyn und den Gemeinsinn mit eingerechnet) eine erträgliche Kenntniß haben – theilen sich von selbst in organisierte und nicht organisierte, und die ersten wieder in

Solche, welche zwar eine bestimmte Form aber kein Leben haben,

Solche, welche zwar leben, aber nicht empfinden,

Solche, welche zwar empfinden, aber nicht denken und mit Willkühr handeln, und endlich in

Solche, die zugleich empfinden, denken und mit Willkühr handeln können; – eine Klasse, welche sehr weitläufig ist, wenn wir dem Plotinus und dem Grafen von Gabalis glauben, von der wir aber gleichwohl, die reine Wahrheit zu gestehen, keine andre Gattung kennen, (wenigstens so gut kennen, daß wir ohne lächerlich zu seyn darüber filosofieren dürften) als diejenige, wozu wir selbst zu gehören die Ehre haben – den Menschen, der durch die Vernunft, wodurch er über alle übrige bekannte Klassen unendlich erhoben ist, dazu bestimmt scheint,

»die vorbesagte sublunarische Welt nach seinem besten Vermögen zu verwalten

und für seine Bemühung berechtigt ist,

»sie so gut zu benutzen, als er immer weiß und kann.«


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