Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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11.

Die Thorheit des Filosofen Jean-Jaques , so wenig Ehre sie der Menschheit macht, ist doch am Ende weiter nichts als lächerlich; aber diejenige, welche uns Swift in Gullivers Reisen aufdringen will, ist hassenswürdig.

Die Freunde dieses außerordentlichen Mannes – vor dessen Genius sich der meinige so tief bückt, daß ich es kaum wage ihn zu tadeln, so sehr ers auch in diesem Stücke verdient, – möchten seine Yahoos gern dadurch rechtfertigen, daß sie uns bereden wollen, sie für eine satirische Erfindung zu halten, wodurch er bloß die Häßlichkeit des Lasters, und die wichtige moralische Wahrheit, daß der Mensch dadurch unter das Vieh herab gesetzt werde, in das hellste Licht habe setzen wollen.

Aber niemand, der den dritten Theil der Reisen Gullivers mit einiger Aufmerksamkeit gelesen hat, wird sich eine Sache überreden lassen, welcher der Augenschein auf allen Blättern widerspricht.

Swift, dessen eingewurzelter Menschenhaß außerdem durch so viele eigene Geständnisse in seinen vertrauten Briefen nur allzu wohl bestätiget ist, scheint nichts angelegeners gehabt zu haben, als seinen Lesern auch nicht die Möglichkeit eines Zweifels übrig zu lassen, ob die besagte Erfindung aus einem andern Geiste geflossen seyn könnte, als dem Haß der menschlichen Natur – einer so unnatürlichen Leidenschaft an einem Menschen, daß Swift vermuthlich, so wie er der Erste ist, der Einzige bleiben wird, der diesen abscheulichen Triumf über die Natur zu erhalten fähig war. Denn mit dieser, nicht mit der zufälligen Verderbniß derselben, hat er es zu thun. Seine Yahoos sind von Natur die übelartigsten, boshaftesten und unfläthigsten von allen Thieren; und diese Yahoos sind ihm gerade das, was Rousseau natürliche oder wilde Menschen heißt. Unser ganzer Vorzug vor ihnen besteht, nach ihm, bloß darin, daß wir uns durch Kunst und mit der Länge der Zeit einiger Funken von Vernunft bemächtiget haben, die uns aber zu nichts dienen, als unsre natürlichen Untugenden zu vergrößern, und sie mit noch einigen neuen zu vermehren, welche die Natur uns nicht gegeben hat.Voyage to the Houyhnhnms, Ch. VII.

Rousseau ist also, in Vergleichung mit Swift, noch sehr gnädig mit uns zu Werke gegangen. Der Rousseauische Mensch ist von Natur ein harmloses gutartiges Thier, wenigstens so gutartig als irgend ein anderes von der grasfressenden Art; die Gesellschaft allein ist die Quelle seiner Verderbnisse. Der Swiftische Yahoo hingegen ist das abscheulichste unter allen Ungeheuern, von Natur und durch Kunst; die letztere vergrößert seine angeborne Häßlichkeit, indem sie dieselbe schminken will. Rousseau formiert seine Wilden, indem er so lange von einem Menschen herunter schnitzelt, bis nichts übrig bleibt als das Thier; Swift seinen Yahoo, indem er dem Menschen alles Schöne abstreift, alles Gute bis auf die zartesten Fasern aus seinem Herzen heraus reißt, und aus allen möglichen Lastern und Häßlichkeiten, welche er von den verdorbensten unsrer Gattung (von Ungeheuern, die zu allen Zeiten und unter allen Völkern seltne Erscheinungen gewesen sind) abgezogen hat, ein Ungeheuer zusammen setzt, dessen Daseyn, wenn es erwiesen werden könnte, ein unüberwindlicher Einwurf gegen das Daseyn Gottes wäre. Rousseau will uns überreden zu den Thieren in den Wald zu gehen, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, daß er uns dadurch glücklich machen würde; Swift macht uns zu Scheusalen, deren sich die Natur schämt, die der Abscheu der ganzen Schöpfung sind, die sich selbst eines in dem andern verabscheuen; und wenn er eine menschenfreundliche Absicht dabey gehabt hat, nun, wahrhaftig! so hat er ein Mittel dazu gewählt, wobey es unmöglich war, seinen Zweck – nicht zu verfehlen!

Doch, es kann keine Frage seyn, was seine Absicht war. Seine Galle, seinen von vielen Jahren her gesammelten Haß gegen seine Landsleute, und besonders gegen die Hofpartey unter Georg dem Ersten, auszulassen, und sich auf einmahl für tausend wirkliche und eingebildete Beleidigungen zu rächen, das war seine Absicht; aber nur ein so hartes Herz, wie das seinige, war fähig, diese Rache an der menschlichen Natur zu nehmen.

Unglücklicher Weise für ihn selbst hat er dieser unwürdigen Leidenschaft nicht Genüge thun können, ohne seinem eigenen Nachruhm mit dem nehmlichen Streiche, den er auf seine ganze Gattung führt, eine tödtliche Wunde beyzubringen. Er mußte ungerecht gegen seine Mitmenschen, und ein Lästerer gegen die Natur werden, um ein Geschöpf, an welchem, bey allen seinen Schwachheiten, Thorheiten und Mängeln, ein Sterne so viel liebenswürdiges sieht, zu einem so gräßlichen Mittelding von Affe und Teufel umzuschaffen. Er mußte erst alle Proporzionen der menschlichen Form zerstören, alle ihre Züge und Lineamente verzerren, alle die feinen Schattierungen verwischen, durch welche die Natur unsre Vollkommenheiten und unsre Mängel, wie ein geschickter Kolorist abstechende Farben, in einander verblendet, und durch tausend fast unmerkliche Mischungen im Ganzen die reitzendste Harmonie zuwege bringt; mit Einem Wort, er mußte das schönste Werk der Natur, um einen Yahoo daraus zu machen, verstümmeln, zerkratzen, übersudeln: – und wie hätte er seinen Genie, seinen Witz, seine Kenntnisse, welche vielleicht noch kein Schriftsteller in solchem Grade beysammen gehabt hat, anders anwenden können, wenn seine Absicht gewesen wäre, sich selbst mitten unter dem menschlichen Geschlecht eine unzerstörbare Schandsäule aufzurichten?

Wenn die Gutherzigkeit des berühmten Genfer Bürgers der mindesten Zweydeutigkeit unterworfen wäre; so könnte man sich kaum verwehren zu denken, er habe eine Swiftische Absicht dabey gehabt, da er seinen primitiven Menschen in den Pongo's von Majomba und Kongo gefunden zu haben glaubt. Denn in der That, wenn etwas in der Natur ist, das dem Menschenhasser Gulliver eine Idee zu seinen Yahoos geben konnte, so müßten es die Baviane seyn, von deren Brutalität die Reisebeschreiber aus dem Munde der Negern Beyspiele erzählen, welche sie dieses Nahmens würdig machen. – Aber der ganze Zusammenhang der Rousseauischen Theorie beweiset, daß er keinen solchen Gedanken hatte.


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