Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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9.

Tlantlaquakapatli untersteht sich aus verschiedenen Ursachen nicht, zu bestimmen, wie schön das Mädchen gewesen sey; – denn

Erstlich, (sagt er) fehlen mir dazu die nöthigen Originalgemählde, Zeichnungen, Abdrücke, u. s. w.

Zweytens, haben wir kein allgemein angenommenes Maß der Schönheit, und

Drittens, ist auch keines möglich, – bis alle Menschen, an allen Orten und zu allen Zeiten, aus einerley Augen sehen, und den Eindruck mit einerley Gehirn auffassen werden; – und das, spricht er, hoffe ich nicht zu erleben.

Indessen getraut er sich so viel zu behaupten, daß sie, so wie sie gewesen, dem ehrlichen Koxkox das schönste und lieblichste Ding in der ganzen Natur geschienen habe; – und wir zweifeln, ob es möglich sey ihm das Gegentheil zu beweisen.

Die Wahrheit zu sagen, bey einem Dinge, welches das einzige in seiner Art ist, hat weder Vergleichung noch Übertreibung Statt. Koxkox konnte keine Idee von etwas besserm haben als er vor sich sah. Seine Einbildungskraft hatte gar nichts bey der Sache zu thun; seine Sinne und sein Herz thaten alles. Kikequetzel hätte so schön seyn mögen als Kleopatra, Poppäa, Roxelane oder Frau von Montespan, oder, wenn ihr lieber wollt, so schön als Oriane, Magellone, Frau Kondüramur, und die Prinzessin Dulcinea selbst, ohne daß sie ihm um ein Haar schöner vorgekommen wäre, oder um den hundertsten Theil des Drucks eines Blutkügelchens mehr Eindruck auf ihn gemacht hätte, als so wie sie vor ihm lag.

»Das ist wunderlich.« – Es ist nicht anders, mein Herr.

Unser Autor – dessen verloren gegangene Schriften der geneigte Leser um so mehr mit mir bedauern wird, als uns diese Probe von seinem Beobachtungsgeiste keine schlechte Meinung giebt – geht noch weiter, indem er sich sogar getraut, die eigensten Empfindungen von Augenblick zu Augenblick zu bestimmen, welche Koxkox, einem so unverhofften Gegenstand gegen über, habe erfahren müssen.

Beym ersten Anblick, spricht er, schauerte der Jüngling, in einer Art von angenehmem Schrecken, zwey und einen halben Schritt zurück.

Im Zweiten Momente guckte er, mit aller Begierde eines Menschen der sich betrogen zu haben fürchtet, wieder nach ihr hin. Der Durchmesser seines Augapfels wurde eine halbe Linie größer; er hielt die linke Hand etwas eingebogen vor seine Stirne, so daß der Daumen an den linken Schlaf zu liegen kam, und schlich sich allgemach mit zurück gehaltenem Athem näher, um sie desto besser betrachten zu können.

Im Dritten Momente glaubte er einen kleinen Unterschied zwischen ihrer Figur und der seinigen wahrzunehmen, und eine Bestürzung von der angenehmsten Art, welche ihn bey dieser Entdeckung befiel, nahm

Im Vierten, und

Fünften dergestalt zu, daß er im

Sechsten eine Art von Beklemmung ums Herz fühlte, welche sich ungefähr im

Neunten oder Zehenten mit der oben besagten Ergießung des subtilen elektrischen Feuers aus seinem Herzen durch alle Adern, Kanäle und Fasern seines ganzen Wesens endigte.

Dieser letzte Augenblick ist, nach der Meinung unsers Autors, der angenehmste in dem ganzen Leben eines Menschen; und dasjenige, was er darüber filosofiert, scheint uns nicht unwürdig zu seyn, in einem kleinen Auszug zu einem eigenen Kapitel gemacht zu werden.


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