Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LXI.

Die Frauen der Schusterwerkstätte, die »Narren«, wie sie in der Anstalt genannt wurden, waren armselige Arbeiterinnen. Manche von ihnen blieben einen guten Teil des Tages mit gekreuzten Armen vor der ihnen zugewiesenen Arbeit sitzen, und ihre Augenlider bewegten sich müde über den erweiterten Pupillen.

Andere wieder wühlten mit zerstörungssüchtigen Händen in den Lumpen herum, zerrissen und zerfetzten sie und warfen sie wieder von sich.

Die meisten sanken nach viertelstündiger Arbeit, deren Anstrengung die Adern an ihren Schläfen schwellen machte, besiegt und einer längeren Tätigkeit unfähig, erschlafft auf ihre Stühle zurück.

Zwei oder drei tranken in kurzen Schlucken abgestandenes Wasser, das aus ihren Mundwinkeln wieder herabtröpfelte, und starrten dann stundenlang in den leergetrunkenen Napf.

Ein ganz altes Mütterchen, mit großen eisernen Brillen, saß den ganzen Tag von früh bis abends, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, unbeweglich da, wie aus Stein gehauen.

Gleich daneben saß eine noch junge, noch schöne Gefangene mit weißem, molligem Fleisch, aber gebrochen und ganz entkräftet, und tat den ganzen Tag nichts anderes, als mit den Fingerspitzen auf den Fensterscheiben auf und ab zu fahren.

Von Zeit zu Zeit veranlaßte der Rundgang der Schwester eines oder das andere dieser Geschöpfe, die Arbeit für ein paar Minuten wieder aufzunehmen, aber bald verfielen sie wieder in ihre stumme Regungslosigkeit.

In der Schusterwerkstatt kannte man nicht einmal mehr die Koketterie des Kopftuches, die sonst in der ganzen Anstalt von den Gefangenen gepflegt wurde. Diese Kopftücher mit den blauen Carreaus wurden hier nicht mehr mit neckischer Anmut getragen, tadellos sauber, mit geschickt gebundenen Zipfeln und so, daß gegen die Dienstvorschrift die Haare ein wenig hervorguckten, wie man es in allen anderen Sälen beobachten konnte. Das Kopftuch war hier nicht mehr das letzte Toilettestück, zu dem die letzte weibliche Eitelkeit, die noch in der Gefangenen war, ihre Zuflucht nahm. Die Alten wie die Jungen trugen das Kopftuch schlampig gebunden und die grotesk abstehenden Zipfeln sagten deutlich, daß jede weibliche Eitelkeit in diesen Lebewesen erstorben war. Aber das Schauerliche an diesen Unglücklichen, die ihr Geschlecht abgestreift zu haben schienen, war das Entrückte und Verlorene in ihrem Blicke, das Nichterkennen ihrer Umgebung, das Erstaunen in ihren Augen, wenn sie für Augenblicke für die Gegenwart erwachten, die fruchtlose Anstrengung, ihre Aufmerksamkeit zu konzentrieren, das Automatenhafte ihrer Gebärden, die Leere ihrer Stirnen, hinter denen man die Erinnerung alter Verbrechen im getrübten Gedächtnis spuken fühlte.

Diese Frauen waren noch nicht vollständig verrückt, aber sie waren bereits schwachsinnig. Man bestrafte sie nicht mehr für ihre Faulheit und begnügte sich damit, sie mit ihren ungeschickten Fingern herumsuchen und herumpfuschen zu lassen.

Manchmal wurde eine dieser Frauen plötzlich von einer körperlichen Unruhe erfaßt, sie sprang auf, erhob sich für einige Augenblicke mit bedeutungslosen Gesten, um sich alsbald wieder niederzusetzen.

Oft stieß in irgend einer Ecke ein Mund einen Schwall düsterer Worte aus, die eine dunkle Erinnerung an erlittene Strafen plötzlich zu einem leisen Murmeln abdämpfte.

Jeden Tag, wenn der Inspektor seinen Rundgang durch die Schusterwerkstatt machte, erhob sich eine Frau in fieberhafter Erregung, bahnte sich mit dem Ellbogen ihren Weg durch ihre Genossinnen, die sie zurückhalten wollten, und stürzte mit wogender Brust auf den Beamten zu. Mit einer Stimme, die wie die Klage eines Träumenden klang, und mit keuchenden, abgerissenen Worten bat die Schwachsinnige dann um eine Audienz; sie beklagte sich, für eine andere verurteilt worden zu sein, und forderte die Wiederaufnahme des Prozesses, bis schließlich ihre Altweiberstimme von Tränen erstickt wurde und sie wie ein kleines Mädchen zu heulen anfing.

Die Schusterwerkstatt geriet, wie man in der Anstalt sagte, viermal täglich in Bewegung. Viermal täglich erdröhnte die Stiege unter den Holzschuhen der Sträflinge, die mit tierischer Plumpheit und verblödeten Gesichtern die Treppe hinabpolterten. Unten angelangt, befriedigten sie ihre physischen Bedürfnisse, ohne einen Rest von weiblichem Schamgefühl zu zeigen.


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