Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXX.

Wenn eine der Frauen mit ihrem Geliebten ausging, so war der ganze darauffolgende Tag mit endlosen Erzählungen und Schilderungen erfüllt und alle hörten ihr angeregt zu, rückten nervös mit den Sesseln und kosteten gleichsam im voraus das Vergnügen aus, das sie selber bei ihrem nächsten Ausgang haben würden. Während der Wintermonate waren die Berichte gewöhnlich sehr einförmig, es war fast immer dasselbe Etablissement, das sie besuchten, die »Zwei Elefanten«; ein Tanzlokal am Boulevard Montparnasse, dessen Spezialität es war, daß dort auch die Mädchen der öffentlichen Häuser zugelassen wurden. Im Sommer wußten aber die Mädchen von ihren Landpartien, von ihrem Vergnügen in Gottes freier Natur eine Menge zu erzählen und schilderten heiter und wohlgelaunt ihre Ausflüge zu Belisaire, zum »Grand Penphier« oder nach der Ile Saint Germain.

An einer Einbuchtung der Seine, an einem Steilufer, das mit faulendem Fischgedärme bedeckt war, umgeben von mächtigen Nußbäumen, lag ein kleines Wirtshaus, eine Hütte aus Gipswänden mit ockergelben Fensterläden. Rundherum spektakelte alles mögliche Viehzeug. Links und rechts eine dunkle Wildnis alter Holunderstauden, zwischen denen Unrat und Scherben herumlagen, dazwischen lief geschäftig der Wirt herum, der gefürchtete Belisaire, um seine Gäste, die Floßzieher und Ruderknechte, zu bedienen. In der Mitte des abgetretenen Rasenplatzes stand eine seltsame Maschine: ein Baumstamm, den man in Manneshöhe abgesägt hatte und auf welchem zwei schlechtbehauene, gekreuzte Balken ruhten, die an den vier Enden je eine Rücklehne aus einem gebogenen Eisenstab trugen. Dieses primitive Ringelspiel war wirklich das reine Folterinstrument zu nennen.

Dieses Wirtshaus beschrieb ein jedes Mädchen ihren Genossinnen mit Worten, in denen noch die Freude zitterte, die sie von ihrem Landausflug mit nach Hause gebracht hatten. Und gleichzeitig klang aus ihren Worten das berauschende Glück des Freigewesenseins, frei von dieser ewigen Beaufsichtigung, von dieser fortgesetzten Polizeifuchtel, unter der diese Frauen ihr Leben lang stehen. Nur hier auf diesem armseligen Stück Uferland fühlten sie sich frei, wo sogar die Gendarmen sich nicht recht hinwagten. Sie erzählten von der tollen Lustigkeit, mit der sie sich auf dem Ringelspiel gedreht, jeden Augenblick in Gefahr, sich den Hals zu brechen, mit einer Geschwindigkeit, die sie in trunkenen Taumel versetzte. Sie zählten die Hühner, die Enten, die Schafe und die Schweine auf und wußten von dem Schäferhund zu berichten, den man abgerichtet hatte, vom Pappelbaum weg ins Wasser zu springen. Und dann plapperten sie stundenlang über die Sonnenschirm- Schlacht mit dem großen Truthahn, dem alten Erbfeind, der wütend und fauchend mit zorngeschwollenem Kamm immer wieder auf sie losfuhr und sie mit seinem kräftigen Schnabel bedrohte – der große weiße Truthahn, der den Namen Karl X. führte.

Wenn eines von den Mädchen erzählte, hörten alle anderen aufmerksam zu und waren selig in dem Gedanken, daß nächstens auch sie mit ihrem kleinen Soldaten bei Vater »Belisaire« sitzen und mit Karl X. kämpfen würden. Elisa war die einzige, die kein Verlangen zeigte, den Ball der »Zwei Elefanten« oder das Wirtshaus zum »Pappelbaum« kennen zu lernen. Und alle Mädchen konnten sich über dieses stubenhockerische Wesen Elisens nicht genug wundern, die sich nur damit vergnügte, alle Tage Alexandrine zu kämmen, die nie um einen Ausgang bat, die noch nie einem Mann ihr Herz geschenkt hatte, die keinen von Madame privilegierten Liebhaber in ihrem Zimmer empfing.


 << zurück weiter >>