Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LVI.

Die Gefangene rührte sich nicht.

»He, sind Sie taub! Sie da unten!«

Elisa entschloß sich aufzustehen und beugte sich mit gleichgültiger und gelangweilter Miene weit über die Schranke vor.

Die Gefangene befand sich in einem Saal, der den Namen Prätorium führte und in welchem die »Garantien« verteilt wurden, das heißt, die Bestätigungen der Strafen, die die Schwester über die Gefangene verhängt hatte und die, nach widerspruchsreichen Debatten vor der Oberin, vom Direktor bestätigt und verlautbart wurden.

Auf einer Estrade hatte der Direktor in seinem Präsidentenfauteuil Platz genommen, zu seiner Linken saß die Oberin und die Schwester, die die Anzeige gemacht hatte, zu seiner Rechten der Inspektor und der Beichtvater.

Hinter dem Gerichtshof waren die weißen Kalikovorhänge ganz über die drei großen Fenster gezogen, so daß es ziemlich finster war im Saale und die Gestalten der gegen das Licht Sitzenden ein strenges, düsteres Aussehen hatten. Die Wände waren ganz kahl, ohne ein Bildwerk, ohne ein Kruzifix, das dem Schuldigen Hoffnung hätte einflößen können.

Längs der Estrade durchzog ein Holzschranken den Saal, hinter welchem auf einer langen Bank die zur Strafe vorgemerkten Häftlinge in schüchterner Haltung saßen.

Der Direktor fuhr fort:

»Diebstahl von Kantinemarken, Verweigerung der Arbeit, alle Samstag dieselbe Leier ... Nun, was haben Sie dazu zu sagen?«

Elisa sagte nichts.

»Ausschluß vom Spaziergang, Fleischentziehung am Sonntag – alles für die Katze – nichts greift an bei Madame! – Aber wie wäre es, wenn man Sie auf die halbe Brotration setzte?«

Der Direktor wendete sich an die Oberin: »Was meinen Sie dazu, Mutter?«

Auf diese Frage des Direktors gab die Oberin mit ihrem bleichen Gesicht und ihrer roten Stirne kaum merklich ihre Zustimmung.

»Die halbe Brotration,« wiederholte der Direktor, sich wieder an Elisa wendend, »verstehen Sie? Sie sollen bei gutem Appetit sein, wie man sagt – die halbe Brotration, das wird Sie also vielleicht zur Vernunft bringen!«

Elisa antwortete nicht.

»Also, das wollen Sie, was? Und gegen Ihren Direktor wollen Sie trotzen, nicht wahr?«

Elisa antwortete nicht.

»So verteidigen Sie sich doch wenigstens, Sie Dickkopf! Sagen Sie etwas, ich will es!« schrie der Direktor mit zorniger Stimme.

Elisa anwortete nicht.

»Die geborene Verstocktheit,« seufzte der Beichtvater, während er seine Daumen drehte.

»Sie beharren also auf Ihrem Trotz, Nummer 7999?«

Elisa antwortete nicht.

»Sagen Sie wenigstens, daß Sie es nicht wieder tun werden! – Nicht einmal das ist aus diesem Holzklotz herauszukriegen!«

Elisa antwortete auch diesmal nicht. Sie hob nur ihre Augen und blickte den Direktor an. In ihren verkrampften Lippen war der hartnäckige Entschluß, zu schweigen. Tiefer Haß lag auf ihren Gesichtszügen. Diese Frau, die da vor ihren Richtern stand, schien erfüllt von Trotz und Bösartigkeit.

»Sie wissen,« flüsterte der Direktor dem Sekretär wütend ins Ohr, »daß ich im allgemeinen für moralische Strafen bin, aber es gibt Fälle, wo man zugeben muß, daß die Prügelstrafe Auburus das einzig mögliche Auskunftsmittel ist.«


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