Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XXIV.

Sobald die Nacht kam, beleuchtete sich das Gebäude mit der großen Hausnummer, das tagsüber düster und schläfrig dalag, und alle Fenster strahlten in hellem Glanz, als wenn das Haus im Innern brennen würde. Zehn Luster, deren Strahlen von zwanzig an den roten Wänden hängenden Spiegeln vervielfältigt wurden, überfluteten den langgestreckten Salon im Erdgeschoß mit grellen, blendenden Lichtgarben, die wie eine Strahlendusche auf die Köpfe der Trinker niederfielen. Ganz am Ende dieses schmalen, langgestreckten Saales, der an die Spiegelgänge eines billigen Zauberpalastes erinnerte, saßen um einen Tisch gedrückt, eng aneinander gepreßt, die »Damen« in einer Gruppe wie eine aufgetürmte wacklige Pyramide. Aus diesem Haufen weißer Wäsche und nackten Fleisches tauchten immer wieder Hände auf, die in ein Päckchen ordinären Tabaks langten und eine Zigarette drehten. An einem Ende des Tisches saß ein Mädchen, die ausgestreckten Beine auf einem Fußschemel und suchte einer Katze Flöhe, die mit einer koketten und argwöhnischen Bewegung die Pfoten um eine ihrer Brüste gelegt hatte. Die Kleidung der »Damen« bestand aus einem kurzen Unterröckchen und einem ärmellosen Hemd und der Ausschnitt dieses Nachthemds ließ ihre nackten Arme sehen, den Busenansatz und bei manchen die Haarbüschel in den Achselhöhlen. Jede trug über zwei Schmachtlocken eine hochaufgetürmte, phantastische Frisur, die mit Weinlaub auf Goldpapier umwunden war. Manche trugen um den Hals – ein besonderer Luxus des Lokals – schmale Seidenkrawatten, deren lange rosafarbene oder blaue Enden bis zum Busen hinunter hingen. Zwei oder drei hatten sich Schönheitspflästerchen aus Fruchtkernen aufgeklebt.

Der Windfang des Salons kam in Bewegung. Die Rothosen drängten herein und klapperten mit ihren Säbelbajonetten an den Stühlen, andere kamen, den Helm auf dem Kopf, über ihre langen Säbel stolpernd und nahmen an den Tischen Platz. Sobald sich einer niedersetzte, löste sich eine der »Damen« aus der Gruppe, kam trillernd, die Arme in die Hüften gestützt, durch den Saal und pflanzte sich vor dem Neuangekommenen auf und drückte ihre üppige Nacktheit an seinem Waffenrock.

In der Kassa thronte »Madame« inmitten zahlreicher farbiger Flaschen, die von dem großen Spiegel reflektiert wurden. Die alte Dame trug eine pompöse Frisur aus grauen Haaren, in denen noch dort und da blonde Lichter schimmerten, aufgetürmt wie ein Diadem, und sah aus wie eine altmodische Bühnenmarquise, ihr Kleid ähnelte der Tunika eines Zauberkünstlers: es war aus rotem Satin und reich mit Seidenspitzen besetzt. Neben ihr stand ihr Mann, den einen Ellbogen aufgestützt, ein junger Kerl mit sauber geschnittenem Backenbart. An seiner Weste baumelte eine dicke goldene Uhrkette und seine Jägerweste aus Zwillich ließ seine mächtigen Armmuskel sehen. Lustig ließ er zwei abgerichtete kleine Hunde ihre Sprünge exekutieren, die er mit einem langen Stöckchen dirigierte.

Die Tische füllten sich. Soldaten aller Waffengattungen drängten herein. Grenzer, Zuaven, Artilleristen, Dragoner und Jäger ... Ja einmal tat sich die Tür auf, ein Kellner rief den Wirt, und man sah draußen in einem Fahrstuhl einen Invaliden, einen Krüppel, den die beiden hereinschleppten und auf die Bank niedersetzten. Allsogleich standen vor ihm auf dem Tisch Kaffeetassen und Gläser mit Likör und Bier, und der ruhmvolle Kadaver, der wie eine Pagode hin- und herschwankte, erzählte in heiterer Laune dem Mädchen, das ihm Gesellschaft leistete, von seinen Heldentaten und Feldzügen.

Die zwei Kellner mit den langen schwarzen Schnurrbärten liefen hin und her. Immer mehr Gläser standen auf den Marmorplatten der Tische. Der Lärm wurde immer größer. Die gebieterische Stimme der Kavalleristen suchte die Infanterie zu übertönen. Von einem Ende des Saales zum anderen gellten die Schimpfworte, die man den Weibern zurief. Unter den geschorenen Schädeln machte die Trunkenheit die Gesichter rot vor Streitsucht. Manchmal gab es ein nervöses Klirren der Säbel und der Lärm im Saal schwoll zu einem zornigen Grollen an.

Von der Stiege herunter, die in den ersten Stock führte, hörte man manchmal das Zähneknirschen eines zornigen Weibes und die keifende Stimme einer alten Frau. »Man sollte meinen, daß man es mit Menschen zu tun hat, nicht mit wilden Bestien!«

Die Hitze wurde immer erstickender unter dem Einfluß der Gasflammen und des Punsches, und auf der Haut der Mädchen ließen die Schweißtropfen in der billigen Schminke graue Streifen zurück.

Die Gäste kamen und gingen, unter die Soldaten mischten sich Männer mit grauen Hüten und Kappen. Immer lauter, tobender wurde die Orgie, trotz der Schlaftrunkenheit der Mädchen.

Ein paar von ihnen lagen mit zurückgelehntem Kopf da, die Hände unter dem halbaufgelösten Chignon verschlungen, so daß man die Haarbüschel in den Achselhöhlen sah, die Augen vor Müdigkeit halb geschlossen.

Eine trug auf ihrem nackten Arm in großen Buchstaben die Worte eintätowiert: »Ich liebe ...« und darunter war einmal ein Name gestanden, der an einem Tag des Zornes weggekratzt, herausgeschnitten, verlöscht worden war im Schmerz und im Fieber lebendigen Fleisches. Andere wieder hatten ein Knie hochgezogen und mit den Armen umschlungen und lehnten, um sich wach zu erhalten, mit der Wange an der kalten Mauer. Für einen Augenblick wurde die Schlaftrunkenheit der Mädchen durch den Anblick eines Goldstückes wachgerüttelt, das einer der Kellner auf einer Tasse vorbeitrug. Abergläubisch spuckte eine jede nach dem Zwanzigfrancstück.

Langsam wurde es immer später. Die Tische leerten sich allmählich. Von Zeit zu Zeit zog einer der Nüchternen seinen Kameraden mit brutaler Freundschaftlichkeit von der Bank auf und schleppte den Widerstrebenden aus dem Lokal heraus.

Endlich war es Mitternacht! Die Fensterladen wurden geschlossen, Gasflammen verlöschten. Nur ein einziger Luster am Ende des Saales blieb erleuchtet, unter dem zwei oder drei unentwegte Trunkenbolde in Gesellschaft einiger Mädchen eng aneinander gedrängt und von den Frauen gestützt saßen, und zu denen sich bald einige Nachtschwärmer gesellten, die alle Augenblicke an der Nachtglocke schellten und Einlaß begehrten.

In der Dämmerung, die jetzt den Salon erfüllte, in diesem finstern Nebel, dick von Tabakrauch und menschlicher Ausdünstung, sah man die Frauen mit schläfrigen Bewegungen und grauen, fahlen Gesichtern wie verwundete Fledermäuse umherschleichen, sich in Umhängtücher und Schals, oder was ihnen gerade in die Hände fiel, fröstelnd einwickeln und jede suchte sich ein nach Möglichkeit sauberes Fußbänkchen. Dann streckten sie sich hin, müde, zerbrochen und lagen da wie Wäschebündel, in denen man kaum noch die Form menschlichen lebendigen Leibes vermutet hätte. Allsogleich schliefen sie ein und wurden nur von Zeit zu Zeit durch ihr eigenes Schnarchen aufgeweckt. Wenn sie so aus ihren wirren Träumen erwachten, richteten sie sich halb auf dem Ellbogen auf und blickten mit stupiden Blicken um sich.

Im erleuchteten Teil, am Ende des Saales, unter den drei Grazien aus Zink, die dort auf dem Ofen prangten, saßen noch immer schwatzend und gestikulierend ein paar Trunkenbolde mit einigen Mädchen, die rittlings auf den Sesseln hockten, den müden Kopf auf die Stuhllehne gestützt und die Röcke bis zu den halben Schenkeln geschürzt.

Sobald sich die erwachten Schläferinnen orientiert hatten, sanken sie wieder auf ihre Bank zurück und verbrachten so die Nacht bis zum Tagesgrauen, bis vier Uhr morgens, wo sie dann endlich in ihre Betten schlafen gehen konnten.


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