Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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L.

Elisa hatte gehofft, sich mit der Zeit an das Schweigen gewöhnen zu können, mit der Zeit nicht mehr unter dieser strengen Regel zu leiden, aber nach langen Jahren, die sie im Gefängnis verbracht hatte, war noch immer, wie am ersten Tage, dasselbe Bedürfnis in ihr, zu reden. Ja, es schien ihr, als hätte dieses lange Schweigen ihre Kehle nur noch mehr gereizt, als sollten all die hinuntergeschluckten Worte eines Tages in einem wütenden Bellen aus ihrem Schlund hervorbrechen. Da sie nicht sprechen durfte, konnte sie manchmal der Lust nicht widerstehen, sich die Sprache wenigstens vorzutäuschen, mit den Lippen und der Zunge tonlose Worte zu bilden, die sie zwar nicht hörte, aber die ihr doch wenigstens das Gefühl des Sprechens vermittelten. Während sie das tat, hielt sie das Wäschestück, an dem sie nähte, dicht vor ihr Gesicht, um etwa ein laut werdendes Wort gleich ersticken zu können. Aber eines Tages befriedigte sie dieses unvollkommene Sprechen nicht mehr, und als sei der Damm, der die hinuntergewürgten Worte aufhielt, geborsten oder vielmehr, wie wenn sie sich hätte versichern wollen, ob ihr das Vermögen der Sprache noch geblieben sei, begann sie zum Erstaunen der Arbeiterinnen, die an einen Wahnsinnsausbruch glaubten, Worte hervorzustoßen, abgerissene Sätze, kreischende Laute, begann aus vollem Hals zu schreien und sich trotz der Zurechtweisung der Schwester in lauten Selbstgesprächen zu ergehen, bis man die von dem Geräusch ihres Mundes gleichsam Berauschte aus dem Arbeitssaal herauszog, in welchem noch lange das Echo dieses rebellischen Mundes nachklang.


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