Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XII.

Hinter dem Hause lag ein großer Obstgarten. Sobald die ersten warmen Frühlingstage kamen, verließen die Mädchen den Salon und verbrachten den ganzen Tag im Garten, aus dem sie erst bei Einbruch der Dämmerung zurückkehrten. Die Stammgäste wurden in kleinen Geißblattlauben empfangen, die sich zwischen den alten Aprikosenbäumen befanden, und dort trank man seinen Johannisbeerlikör, sein Bier oder seine Limonade: Und unter den blühenden Obstbäumen, unter dem jungen Grün, das die Erde wieder schmückte, unter dem blauen Himmel gewannen diese Mädchen im Lärm ihrer kindischen Belustigungen etwas von ihrer Unschuld wieder. Das Vergnügen, das sie am Spielen und Herumtollen fanden, verwischte ihre Schamlosigkeit und verlieh ihren Gebärden etwas mädchenhaft Züchtiges. Hier im Garten vergaß man, daß sie Dirnen niederster Sorte waren, und die Männer waren unwillkürlich zurückhaltender gegen sie als sonst.

Mit seinem hohen Gras, das bis ans Knie reichte, seinen Gemüsebeeten, die da und dort eingestreut waren, und für das Haus den Proviant lieferten, glich der Garten stellenweise einem alten Park, wie ihn etwa ein Lenotre der Provinz entworfen hätte. Ganz am Ende, längs einem schmalen Feldweg, dem »Sente du Pinchinat«, der zwischen dem Gartenzaun und großen Hanffeldern lief, die in der Sommerhitze berauschende Düfte ausströmten, standen noch die mehrfach vom Blitz zerspaltenen Stämme uralter Buchsbaumstauden. Der Sohn des Hauses hatte sich vor seiner Erkrankung damit unterhalten, die überlebenden Buchsbaumstauden künstlerisch in Form von Hähnen und Hennen zuzustutzen. Die alten Bäume, in ihrer gleichzeitig lächerlichen und phantastischen Gestalt, bildeten ein großes Rondell, wo man vom Juni an jeden Sonntagnachmittag tanzte, wie das seit Jahren so Brauch war.

Der Geiger, der zum Tanz aufspielte, war kein Stadtmusikant, sondern ein Bauer aus einem Nachbardorf, der der Freund, der Vertraute, der Ratgeber und der Geschäftsträger der Damen des Hauses war.

Eine kuriose Erscheinung, dieser Greis, der angeblich seinen Lebensunterhalt durch die Erzeugung von Leinöl bestritt, unter dem Namen »Gros-Sou« bekannt war, und für den unehelichen Sohn eines Abbés von St. Clair galt, des größten Wüstlings und kühnsten Jägers der ganzen Gegend vor der Revolution. Und Gros-Sou schien wirklich etwas von dem Blute des großen priesterlichen Nimrods in den Adern zu haben. Er war der gefürchtetste Wilddieb und Raubfischer des ganzen Bezirkes. Er kannte alle Hasen eines Reviers und belegte sie mit Namen, die er selbst erfand, wartete ruhig, bis sie das richtige Gewicht hatten, und schoß dann einen nach dem andern ab. Trotz seiner sechsundsiebzig Jahre tauchte er des Nachts in einen Flußarm und fing die prächtigsten Fische, indem er sie bei ihren Kiemen aus ihren verborgensten Schlupfwinkeln herauszog. Wenn er dann Wildbret und Fische für 150 bis 200 Francs verkauft hatte, dann setzte sich der durchlauchtigste Wilddieb in das Hinterstübchen eines von den größten Feinschmeckern besuchten Wirtshauses und ließ durch den Gemeindetrommler bekannt machen, daß Gros-Sou seine Freunde zu einem Schmaus einlade. Zwei, drei Tage hielt er dann offene Tafel und goß jedem, der da kam, Champagner ein. In seiner Jugend war Gros-Sou ein arger Mädchenjäger gewesen. Jetzt hatte er »ausgespannt«, aber noch immer liebte er die Gesellschaft der Frauen, die »in ihren Leib vernarrt« waren, wie der alte Wüstling sich ausdrückte. Er liebte es, mit ihnen in Berührung zu kommen, und es bereitete ihm einen besonderen Genuß, sich ihre Erlebnisse erzählen zu lassen, ihnen die Beichte abzuhören, sie zu beraten und bei ihnen die Rolle des Vertrauten zu spielen, was ihm dank seiner bäurischen salbungsvollen Sprechweise und dank der Herrschaft, die stets Frauenfreunde über die Frauen haben, nicht schwer fiel.

Dieser originelle Kauz, der überdies mit viel Talent alle Instrumente spielte, kam Sonntags mit seiner Geige daher, mit seiner ewig durstigen Seele, munter und fidel wie immer, einen ganzen Troß hinter sich und mischte bald die ganze Gesellschaft auf. Den ganzen Tag fidelte er drauf los und seine spaßhaften Worte brachten alle in heitere Laune, ja, meiner Treu, er spielte acht Stunden lang zum Tanz auf, daß die Männlein und Weiblein nur so sprangen wie auf der lustigsten Kirmeß.

So oft er kam, brachte er irgendein Wildbret oder einen Fisch mit, den er selbst zubereitete, wie es der Küchenchef eines Herrschaftshauses nicht besser vermocht hätte. Natürlich kamen stets eine Menge Burschen aus dem Städtchen, denen nach seinen Leckerbissen gelüstete, ebenso wie nach den saftigen Histörchen, die er zu erzählen wußte, nach der Originalität, die von diesem zum Naturmenschen gewandelten Grand-Seigneur ausging, nach der Lustigkeit, die der galante und doch bäurische Siebziger zu jeder Mahlzeit mitbrachte. Wenn er an solchen Sonntagen, umringt von diesen Frauen, die alle ganz begeistert von ihm waren, als König der Tafel der einen oder der anderen ein laszives Wort ins Ohr flüsterte, dann erinnerte dieser Schelm Gros-Sou, der nichts war als ein Bauer, ganz und gar an seinen durchlauchtigsten Herrn Papa, wenn dieser einem galanten Souper präsidierte.


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