Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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XIII.

Die Prostitution in der kleinen Provinzstadt unterscheidet sich wesentlich von der in den großen Bevölkerungszentren. Für die Prostituierte der kleinen Stadt ist ihr Gewerbe verhältnismäßig angenehm, der Mann behandelt sie menschlich. Die dem Genuß geweihten Stunden kennen nichts von der brutalen Hast des Großstadtbetriebes. Eine naivere, gesündere, weniger durch schlechte Lektüre erhitzte Sinnlichkeit sucht in der physischen Liebe nicht die Demütigung und den Schmerz des erkauften Geschöpfes. Und wie der Kleinstädter die Prostituierte weniger verachtet, im gleichen Maße verliert die Prostitution in diesen von Gärten umsäumten Häusern etwas von ihrer Schändlichkeit und nähert sich ein wenig den galanten Kaufgeschäften, die von den primitiven Naturvölkern mit solcher Unbefangenheit und Selbstververständlichkeit betrieben werden. Die Prostitution! In Paris heißt das: betrunken in der Nacht auf gut Glück eine Treppe hinaufsteigen, brutal ein Weib umarmen, wie bei einer Schändung, und angeekelt fortlaufen, um nie mehr wiederzukehren. Der Unbekannte, der zum ersten- und letztenmal das Zimmer eines Freudenmädchens betritt, macht sich kein Kopfzerbrechen darüber, wie viel Roheit und Verachtung sein brutaler Geschlechtstrieb über den Körper ausgießt, der sich ihm preisgibt, wie viel Gemeinheit in der Liebe mancher Männer zutage tritt, die sich Kulturmenschen nennen. In der kleinen Stadt ist der zufällige Gast eine Seltenheit. Die Leute, die ins Haus kommen, sind fast immer alte Bekannte, und daher gezwungen, auch in der Ausschweifung eine gewisse Selbstachtung in ihren Beziehungen zu den Mädchen zu bewahren. Es zeigt sich ferner, daß die Männer, die an jene Türen klopfen, ganz anders verliebt sind, als die Männer der Großstadt. In der Provinz verbietet die Sittenstrenge und die durch den Klatsch geübte Polizei dem jungen Manne das Verhältnis, das außereheliche Zusammenleben mit einer Frau. Das Bordell ist für den jungen Mann nicht lediglich der Ort, wo er seinen physischen Begierden frönt, es ist für ihn weit mehr der Salon, in welchem er Gelegenheit hat, mit dem anderen, dem zarten Geschlecht frei und ungezwungen zu verkehren. Dieser Salon wird zum Mittelpunkt der Geselligkeit, wo man plaudert und miteinander speist, wo die männliche und die weibliche Jugend lange vergnügte Stunden beim Piquettspiel verbringt. Und in diesem eintönigen und beschäftigungslosen Kleinstadtleben streifen mit der Zeit die Mädchen, die niedrigsten Dirnen ihre Rolle als schmähliche Liebesautomaten ab und verwandeln sich allmählich in eine Art Gesellschaftsdamen, die das Faulenzerleben der jungen Bürgerssöhne verschönen. Dieser fast tägliche Verkehr läßt bei diesem oder jenem für die eine oder andere eine Neigung aufkeimen, die zur Gewohnheit wird, zu einer Art Treue, die fast einer regelrechten Liebschaft gleicht. Verliebte Jünglinge, die durch den Bauerngeiz engherziger Eltern zu kurz gehalten werden, um sich verheiraten zu können, sehen sich genötigt, ihr Liebesbedürfnis hier auszuleben. Der Fall ist nicht selten, daß solch ein reiner Tor bis zum Tag seiner Hochzeit in Dankbarkeit an dem Mädchen hängt, dem er seine Erstlinge opfern durfte.

Aus all diesen Gründen und auch wohl durch den etwas entwürdigenden Verkehr mit dem Kuppler und der Kupplerin, wie durch das Milieu überhaupt, geschieht es mitunter, daß die bezahlte Dirne über den Mann, der immer wieder zu ihr kommt, eine Art Herrschaft erlangt, fast ebenso wie die wirkliche Geliebte, daß die Prostituierte der Kleinstadt das Entwürdigende ihres Berufes abschüttelt und über die scheinbare Unmöglichkeit, ehrlich geliebt zu werden, triumphiert.


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