Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LV.

Der noch vom Aufwaschen ein wenig feuchte Steinboden leuchtete rötlich und das grelle Licht des kalten Frühlingstages spielte auf dem frischen Ockergelb der Wände und auf dem weißen Kalk der erst kürzlich übertünchten Decke. Durch die ganze Länge des Saales, in den durch die großen Fenster schräge Lichtgarben fielen, zogen sich zwei lange Tischreihen, jeder Tisch war mit zwei niedrigen Bänken versehen, die je fünf Sträflingen Platz boten.

Auf den Tischen sah man zehn Steingutteller, von denen der Dampf aufstieg, in der Mitte standen dickbäuchige Krüge, wie man sie auf den Interieurbildern Chardins sieht, irdene Krüge mit ziegelroter, quadratisch gemusterter Glasur. Da und dort lagen auf bestimmten Plätzen kleine Blechmarken mit einer Nummer in der Mitte. Gegen diese Blechmarken konnten die Frauen mit Zuhilfenahme ihrer Spargroschen eine Zubuße zu den gewöhnlichen Mahlzeiten erhalten, während sie die ganze Woche Gemüse und nur am Sonntag Fleisch zu essen bekamen. An der Rückwand des Refektoriums waren diese Zubußen auf einer Tafel aufgeschrieben:

Frische Butter 10 Centime
Milch 10 "
Käse: Drumeux   10 "
Gruyère 10 "
Holländer 10 "
Bondon 10 "
Reglisse 10 "
Gomme 10 "
Saurer Hering 10 "
Hammelragout 20 "

Zusammensetzung des Ragouts: Fleisch, Kartoffel, Karotten, Rüben, Zwiebel, Fett, Mehl, Salz und Pfeffer nach Bedarf.

Punkt neun Uhr traten die Frauen, die sich schon vorher durch das Klappern ihrer Holzschuhe im Stiegenhaus angekündigt hatten, in wildem Durcheinander ein und drängten geräuschvoll nach ihren Plätzen, voll hungriger Gier nach dem Essen.

Je Zehn nahmen an einem Tisch Platz, der am oberen Ende die Nummern und Namen der Tischgenossinnen trug.

Da bemerkte die Schwester, wie Elisa das Durcheinander des Platznehmens dazu benützte, um mit gekrümmter Hand eine Blechmarke von dem Platz einer Nachbarin wegzunehmen und auf ihren Platz zu schieben.

»Naschkatze,« sagte die Schwester, »ich habe Sie gesehen und mir scheint, es ist nicht das erstemal! Sie sind aufgeschrieben – – – ich werde Ihnen von jetzt an auf die Finger sehen!«

Trotzig wie ein Kind, das eine stibitzte Sache wieder hergeben muß, schob Elisa die Blechmarke wieder ihrer Nachbarin zu.

»Nummer 7999» treten Sie vor!«


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