Edmond de Goncourt
Die Dirne Elisa
Edmond de Goncourt

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LVII.

Der Gefängnisdirektor war ein Südländer von lächerlich kleiner Statur, ein Homunkulus sozusagen, mit besonders stark entwickeltem Bartwuchs und kahlem Schädel. Er rauchte und schwitzte den ganzen Tag und ging stets ohne Hut.

Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht begegnete man dem unermüdlichen kleinen Mann in den Werkstätten und in der Küche der Anstalt, wo er alles inspizierte, revidierte, kontrollierte und dabei brummte und öfter noch fluchte wie ein Viehtreiber, immer besorgt, daß jedem Sträfling nach der Vorschrift zukam, was ihm gebührte. Er war imstande, die Anstalt auf den Kopf zu stellen und den Kantineur davonzujagen, wenn er daraufkam, daß an einer Portion auch nur ein Deziliter Dörrgemüse fehlte. All seine Gedanken, all seine schlaflosen Nächte gehörten seinem Amte. Sein ganzes Leben war mit fast priesterlichem Ernst dem körperlichen Wohl der ihm anvertrauten Gefangenen gewidmet und doch war er dabei von unmenschlicher Härte und Grausamkeit, wenn man es wagte, sich gegen seine spießbürgerlichen Ideen aufzulehnen.

Er war Kriminalist der amerikanischen Schule, ein Schüler Auburus, und glaubte fest daran, daß das aufgezwungene Schweigen das beste Erziehungsmittel sei. Die ziemlich traurigen Resultate, die er während seiner Direktion erzielt hatte, und die vielen Rückfälle, die sich während der letzten zwanzig Jahren sowohl bei Männern wie bei Frauen ergeben hatten, vermochten ihn nicht von dieser Praxis abzubringen und ließen ihn die Nutzlosigkeit dieser grausamen Gefängnisregel nicht einsehen. Nur dann litt eine Gefangene in seinen Augen, wenn ihre Kleidung schlecht und zerrissen war, wenn sie die ihr gebührende Brotration und ihre Wassersuppe nicht bekommen hatte. Alles übrige bezeichnete er kurzweg als »Flausen«. Was die intellektuelle Schwächung der Gefangenen betraf, die durch diese barbarische Gefängnisregel unleugbar hervorgerufen wurde, so erklärte er seufzend, das sei lediglich eine Erfindung der modernen Ärzte, und behauptete im Gegenteil, das beständige Schweigen sei ein ausgezeichnetes Mittel zur Sammlung des Geistes und käme so auch dem Körper zugute. Aber gewöhnlich duldete er mit dem geringschätzigen Achselzucken des überlegenen Fachmannes gar keine Erörterungen über diesen Gegenstand, der für diesen Fanatiker einen Glaubensartikel darstellte. Ja, an manchen Tagen glaubte der groteske kleine Mann in den Übertretungen der Gefangenen eine Auflehnung gegen seine persönlichen Ideen zu erblicken, eine Respektlosigkeit vor seiner etwas kärglich geratenen Person. Dann ließ sich der Direktor von Noirlieu zu Härten und Grausamkeiten hinreißen, die der Milde des modernen Strafverfahrens fast den Beigeschmack mittelalterlicher Torturen gaben und den stolzen, kleinen Philanthropen in seinen komischen Zornesausbrüchen das Aussehen eines bösartigen Hanswurstes verliehen.


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